Ulm - Schwaben und Donauschwaben
Erinnerungsorte in Baden-Württemberg
Baden-Württemberg ist seit dem 11. September 1954 das „Patenland“ der „Volksgruppe der Donauschwaben“. Ulm bezeichnet sich gerne als „Stadt der Donauschwaben“. Und für die unterschiedlichen donauschwäbischen Gruppen selbst sind Ulm und der deutsche Südwesten konstitutiv für ihr Selbstverständnis.
Dabei handelt es sich um eine Entwicklung jüngeren Datums, die rückblickend zwei Vorgänge ohne unmittelbaren Bezug in einen Sinnzusammenhang setzt: Die auch über Ulm erfolgte Auswanderung aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation nach Südosteuropa seit dem 18. Jahrhundert und die Umsiedlung, Flucht und Vertreibung der Nachkommen dieser Auswanderer in das besiegte Deutschland nach 1945.
Die entstandenen Beziehungen Baden- Württembergs und Ulms zu den Donauschwaben und deren besonderes Verhältnis zu der Stadt und dem Land sind das Ergebnis einer spezifischen Deutung von Migrationen der letzten rund 300 Jahre als Auswanderung in eine „neue Heimat“ und Rückkehr in die „alte Heimat“.
Autor: Mathias Beer
Der Text von Mathias Beer erschien unter dem Titel „Ulm - Schwaben und Donauschwaben“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.
Ein Denkmal am Donauufer
„Herzlich willkommen in Ulm, der Patenstadt der Banater Schwaben und seit mehr als drei Jahrzehnten Gastgeber der Heimattage der Landsmannschaft der Banater Schwaben!“ Mit diesen Worten begrüßte Ivo Gönner, der Oberbürgermeister der Stadt Ulm, die mehreren tausend Teilnehmer des Heimattages der Banater Schwaben zu Pfingsten 2010. Neben dem Ulmer Stadtoberhaupt waren Vertreter der Landes, des Bundes und auch der rumänischen Regierung anwesend. Am frühen Nachmittag des 22. Mai fanden ein von Trachtengruppen begleiteter „Festumzug zum Auswanderer-Denkmal am Donauufer“, eine „Gedenkfeier mit Kranzniederlegung“ am Auswanderer-Denkmal und ein „Auftritt in historischen Trachten mit Ausschiffung auf einer ‚Ulmer Schachtel‘“ auf der Donau statt.
Am 13. September 2008 lud – dieses Mal die Landsmannschaft der Donauschwaben aus Jugoslawien – zu einer großen „Gedenk- und Jubiläumsveranstaltung“ am gleichen Ort ein. Sie war mit einem Landestrachtenfest im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg verbunden. Im Mittelpunkt stand eine „Gedenkfeier am Ahnen-Auswanderer-Denkmal am Donauschwabenufer“. Mit einer Kranzniederlegung und einem „Gruß an die Donau mit Kranzübergabe“ wurde des 50. Jahrestages der Errichtung des Denkmals und der Ausweisung der Donauschwaben aus Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht. Auch dieses Mal waren Stadt und Land hochrangig vertreten.
Dieses sind nur zwei der jüngsten aus einer Reihe von ver gleichbaren Veranstaltungen aller donauschwäbischen Landsmannschaften – der Donauschwaben aus Jugoslawien, der Ungarndeutschen, der Banater Schwaben und der Sathmarer Schwaben. Ulm und die Donau liefern dafür mehr als die unverzichtbare Kulisse. Dreh- und Angelpunkt ist dabei das am Rande der Altstadt, aber außerhalb der Stadtmauern zwischen Wilhelmshöhe und dem Donauufer gelegene Auswanderer-Denkmal. Auf der mehrere Meter hohen, aus vier Muschelkalksteinquadern zusammengesetzten Stele ist an der Front ein stilisiertes Boot angebracht. Im Boot steht ein Mann, der seinen Arm schützend um die Schultern seiner auf einem Gepäckstück sitzenden Frau legt, auf deren Schoß ein Kind sitzt. Aus dem Boot ragt ein großes, schlankes Kreuz empor. An der Stele ist die Inschrift angebracht: „Von Ulm aus zogen deutsche Siedler im 18. Jahrhundert auf der Donau nach dem Südosten Europas. Ihre Nachfahren kehrten, vom Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben, in das Land ihrer Väter zurück.“
Mit seiner Lage, Bildersprache und Inschrift ist das Denkmal die in Stein gehauene und in Bronze gegossene Erinnerung an eine mehr als drei Jahrhunderte umfassende Vergangenheit. Es ist sowohl zum Inbegriff donauschwäbischen Selbstverständnisses als auch Teil des Selbstverständnisses der Stadt Ulm und des Landes geworden. Diese Bedeutung des Denkmals ist das Ergebnis von Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. Die Geschichte, auf die sich das Denkmal bezieht, ist differenzierter als die, die das Denkmal und seine Inschrift evozieren. Es ist die Geschichte von mehreren zu unterscheidenden Migrationen, ihren Folgen und deren spezifische Deutung.
Migrationen – weit mehr als Ulm und „Ulmer Schachteln“
Den Niedergang des Osmanischen Reiches im 17. Jahrhundert machten sich das Russische Reich und die Habsburgische Monarchie zunutze. Nach der siegreichen Abwehr der osmanischen Belagerung Wiens 1683 ergriff das kaiserliche Heer die Initiative, die die Rückeroberung Ungarns einleitete. Der 1699 geschlossene Friede von Karlowitz bestätigte die neuen Machtverhältnisse, mit denen der gesamte mittlere Donauraum an die Habsburger fiel. Schließlich wurden mit dem Frieden von Passarowitz 1718 die politischen Voraussetzungen für die neuzeitliche Kolonisation in Südosteuropa geschaffen.
Zeitgenössischer Praxis folgend, setzten sich die Wiener Regierung und die privaten Grundherren das Ziel, das gesamte eroberte und erworbene Land kulturell und vor allem wirtschaftlich zu entwickeln. Nur so war das Gebiet gegen die nach wie vor bestehende osmanische Gefahr zu sichern. Zudem sollte das Gebiet helfen, die Einkünfte der Wiener Hofkammer und jene privater Grundherren zu verbessern. Von einem durch gezielte Migrationspolitik ausgelösten Bevölkerungszuwachs wurde eine höhere Wirtschaftskraft und mit ihr ein höheres Steueraufkommen erwartet: ubi populus, ibi obulus, oder: „Wo Menschen sind, da füllt sich die Staatskasse.“
Sogwirkung des Ansiedlungsgebietes
Solchen Überlegungen folgend wurde unter Kaiser Karl VI. in den Erbländern und Reichsgebieten des Heiligen Römischen Reiches für die Ansiedlung geworben. Öffentliche Aufrufe, begleitet von eigens beauftragten Werbern, erfolgten auch unter der Regentschaft der Kaiserin Maria Theresia und ihres Nachfolgers Joseph II. Zunächst fast ausschließlich für Siedler katholischen Glaubens bestimmt, waren die Werbungen mit weitreichenden Vergünstigungen verbunden: Finanzierung der Reisekosten ins Ansiedlungsgebiet, Bau eines Hauses, Zuteilung von Ackerboden, Vieh sowie landwirtschaftlichen Geräten, die Ausstattung von Handwerkern, Steuerfreiheit für mehre Jahre und die zeitweilige Befreiung vom Militärdienst.
Zu der so erzeugten Sogwirkung des Ansiedlungsgebietes kam ein weiteres Bündel von Ursachen in den Herkunftsgebieten der potenziellen Siedler hinzu, welches tausende Menschen veranlasste, nach Ungarn aufzubrechen. Es speiste sich, je nach Territorium und Zeit, aus unterschiedlichen Quellen: Sowohl religiöse als auch politische, soziale und wirtschaftliche Gründe spielten eine Rolle. Dabei zählten die materielle Not, verursacht durch Kriege, hohe Abgabenlasten sowie Ernteausfälle auch im deutschen Südwesten mit zu den Hauptursachen für den Entschluss, „in das Ungarland“ auszuwandern. Mit den Worten des Zimmermanns Martin Bosch von 1771: „Weillen mich mit meinem Weib und Kind mit meiner Zimmermanns Profession bey dermaligen theiren Zeiten nimmermehr zu ernehren waiß.“ Die den Siedlern angebotenen Vergünstigungen und die Bedingungen in den Herkunftsgebieten hatten eine wahre „Auswanderungssucht“ zur Folge.
Der Weg und das Ziel
Die Reise der Siedler umfasste drei oder vier Etappen, worüber Briefe detaillierte Auskunft geben. Entweder auf dem Rhein, Main und Neckar oder auf dem Landweg wurden zunächst Städte an der Donau angepeilt, um den trotz noch unregulierter Donau schnelleren Weg nach Südost anzutreten. Die Reichsstadt Ulm, zugleich Mittelpunkt des Schwäbischen Kreises, war dabei neben Regensburg und Günzburg nur einer von mehreren Sammelpunkten sowohl als Auswanderer- als auch als Rückwandererhafen insbesondere für Emigranten aus dem südwestdeutschen Raum. Dort angekommen, hatte man zu warten, bis ein sogenanntes Ordinari-Schiff abging – sie fuhren regelmäßig ab 1696 von Regensburg und ab 1712 von Ulm – oder ein Sondertransport zusammengestellt war.
Die wohl seit den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts abwertend auch als „Ulmer Schachteln“ bezeichneten „Schwabenplätten“ oder „Wiener Zillen“ waren 17 bis 30 Meter lang, sechs bis sieben Meter breit, besaßen eine Tragfähigkeit von 25 bis 150 Tonnen und fuhren mit einer Geschwindigkeit von sieben bis acht Kilometern pro Stunde. Je nach Witterung oder Fahrgastaufkommen dauerte der Aufenthalt in Ulm auch oft mehrere Wochen, was sich auch in kirchlichen Unterlagen niederschlug. So wurde im Eheregister des (katholischen) Augustinerstifts St. Michael zu den Wengen in Ulm am 23. April 1752 die Eheschließung von Johann Carl Siehler und Maria Theresia Machab mit dem Vermerk verzeichnet: „Itinerantes in Unghariam, als wohin nur in diesem Frühjahr schon über 6000 aus der Pfalz, von dem Rhein u[nd] aus dem Schwarzwald und Oberländern abgegangen.“
In Wien, wo die für die Batschka und das Banat bestimmten Siedler registriert wurden und einen Ansiedlungspass mit dem Bestimmungsort erhielten, setzte die dritte Etappe der mit großen Gefahren verbundenen Reise ein. Sie führte bis nach Ofen (ung. Buda), der am westlichen Donauufer gelegenen Stadt, die seit 1873 einen Teil von Budapest bildet. Aber auch andere Donauhäfen wurden angefahren, von denen aus das Ansiedlungsgebiet auf dem Landweg zu erreichen war. Manche der Ansiedler legten die Strecke zwischen Wien und Ofen auf dem Landweg zurück.
Die "Schwabenzüge" und ihre Folgen
Die planmäßig angelegte Besiedlung der neu eroberten Gebiete, bei der neben anderen deutsche Siedler die Mehrheit bildeten, vollzog sich kontinuierlich während des gesamten 18. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Ansiedlung erfolgte sowohl in neu errichteten als auch in bestehenden Siedlungen, in denen Magyaren, Serben, Kroaten und Rumänen lebten. Dabei sind mehrere Perioden auszumachen – später als „Schwabenzüge“ gedeutet –, in denen die Zahl der Ansiedler besonders hoch war: Die frühe Phase beginnend mit dem Jahr 1686 bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts und dann die Jahre 1712 bis 1726, 1763 bis 1772 und 1782 bis 1788.
Das Ergebnis der staatlichen und der privaten Anwerbung von Siedlern im gesamten südwestdeutschen Raum von der Schweiz über Oberschwaben, Rheinland-Pfalz, Lothringen, bis Trier, aber auch in Hessen, Franken und Bayern, waren mehrere Siedlungsschwerpunkte: das Ungarische Mittelgebirge vom nördlichen Ufer des Plattensees (Balaton) bis zum Donauknie; die Schwäbische Türkei zwischen Plattensee, Drau und Donau; die Batschka zwischen Donau und Theiß; das Banat zwischen Theiß, Marosch und Donau; das Gebiet um Sathmar sowie die größtenteils zwischen Drau und Save gelegenen Gebiete Slawonien und Syrmien. Schätzungen gehen von einer halben Million Auswanderer bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Kolonisationsprozesse nach Südosteuropa aus.
Die mit der Ansiedlung verbundenen Ziele konnten unter großen Anstrengungen und in einem längeren Zeitraum erreicht werden. Weite Flächen wurden urbar gemacht, wobei insbesondere der Bau von Entwässerungsanlagen und Wasserstraßen hervorzuheben ist. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts galt das Banat als eine Kornkammer der Habsburger Monarchie. Aber auch der Aufschwung, den das staatlich geförderte Berg- und Hüttenwesen erlebte, ist eine Folge der Ansiedlungen. Es entstand eine ansehnliche Zahl neuer Ortschaften, die ein blühendes Wirtschafts- und Gemeindeleben entwickelten. Die Kolonisationsprozesse fächerten zudem die ethnische, sprachliche, konfessionelle und kulturelle Vielfalt der Ansiedlungsgebiete weiter auf. Die zunächst intensiven Kontakte zu den Herkunftsgebieten gingen nach und nach ebenso verloren, wie die Verbindungen der Herkunftsorte zu ihren ehemaligen Bewohnern.
Aus „Schwaben“ werden Donauschwaben
In einem mehrere Generationen umfassenden Eingliederungsprozess – er fand später in dem Spruch „Dem ersten den Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot“ einen sowohl einprägsamen wie verklärenden Ausdruck – entwickelten die Siedler unterschiedlicher Herkunft, Konfession und Dialektzugehörigkeit in den einzelnen Ansiedlungsgebieten bäuerlich geprägte regionale Identitäten. Als „pars pro toto“ setzte sich nach und nach der Begriff „Schwaben“ für alle Neusiedler und deren Nachkommen durch, auch wenn „schwäbische“ Auswanderer keineswegs die Mehrheit gebildet hatten. „Schwaben“ bürgerte sich sowohl als Selbst- als auch als Fremdbezeichnung ein: ungarisch „sváb“, rumänisch „?vab“, serbokroatisch „švaba“.
Eine die Regionalismen überwölbende Gruppenidentität entwickelten die Einwanderer nicht. Neben dem Fehlen eines geschlossenen Siedlungsgebietes trugen die ungarischen Assimilationspolitik seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere der Ausgang des Ersten Weltkrieges entscheidend dazu bei. Bis dahin einem Staatsgebiet zugehörig – dem Ungarischen Königreich innerhalb der k. u. k.-Monarchie –, wurden die „Schwaben“ als Folge der neuen Grenzziehungen in Südosteuropa jetzt Bürger Ungarns, Rumäniens und des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, des späteren Jugoslawien. Trotz des garantieren Minderheitenschutzes waren sie wie die anderen Minderheiten den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen dieser Nationalstaaten ausgesetzt, die einen möglichst homogenen, vom Staatsvolk dominierten Staat zum Ziel hatten.
Dieser Differenzierung auf nationalstaatlicher Grundlage konnten auch alle Bemühungen, die „schwäbischen“ Minderheiten wenn nicht als eine politische, so doch als eine sich aus der „gemeinsamen Migrationsgeschichte“ und der Bin- dung an das „Herkunftsgebiet der Ahnen“ speisenden kulturellen Einheit wahrzunehmen, nicht entgegenwirken. Sie waren sowohl bei den jeweiligen Minderheiten selbst, als auch in der Weimarer Republik wirksam. Der im Banat geborene Maler Stefan Jäger (1877–1962) schuf 1910 als Auftragsarbeit einer Banater Gemeinde das großformatige Tryptichon „Die Einwanderung der Schwaben“. Mit den drei Teilen „Wanderung, Rast und Ankunft“ lieferte Jäger den Prototyp für das sich nun herausbildende verklärende Bild einer einheitlichen, geschlossenen, wesentlich mit Ulm verbundenen Auswanderungs- und Ansiedlungsgeschichte der Schwaben in Südosteuropa.
"Donauschwaben" - ein rein wissenschaftlicher Begriff?
Das literarische Pendant dazu stammt aus der Feder des Schriftstellers, Journalisten, Theaterdirektors und ambitionierten Politikers Adam Müller-Guttenbrunn (1852–1923). Karriere machte der im Banat geborene Müller-Guttenbrunn zunächst in Wien, wo er in der Endphase des Ersten Weltkriegs vom „Großösterreicher“ zum „Großdeutschen“ mutierte. Eine Reise 1907 ins Banat gab den Anstoß zu einer Reihe von Heimatromanen, in denen die „schwäbische“ Minderheit Ungarns im Mittelpunkt steht. Große Wirksamkeit erzielte sein erstmals 1913 in Leipzig erschienener Roman „Der große Schwabenzug“. Der Roman ließ das Bild von den „Schwabenzügen“ ebenso zu einem Topos werden wie jenes von der Wertbeständigkeit und Leistungsbezogenheit der „schwäbischen“ Siedler. Sie prägten das Geschichtsbild ganzer Generationen.
Dem Hervorheben der neuzeitlichen Migrationsgeschichte und damit der Verbindungen zum „deutschen Mutterland“ bei den deutschen Minderheiten in Südosteuropa entsprach in der Zwischenkriegszeit die Entdeckung auch dieser Auslandsdeutschen in Deutschland. Bezeichnend dafür waren die Ansiedlungsfeiern in zahlreichen „schwäbischen“ Orten in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn, an denen auch Gäste aus den Herkunftsorten der Siedler des 18. Jahrhunderts teilnahmen. Hinzu kamen die Konjunktur, die die genealogische Forschung hüben und drüben erfuhr, Besuche von Stu- dentengruppen aus Deutschland in den „schwäbischen“ Siedlungsgebieten, die verstärkten Aktivitäten des Vereins für das Deutschtum im Ausland und des Deutschen Auslandsinstituts mit Sitz in Stuttgart.
Symptomatisch für die „Entdeckung“ der „Schwaben“ in Südosteuropa war auch der 1922 in der deutschen Südosteuropageografie eingeführte Begriff „Donauschwaben“. Er bezog alle „schwäbischen Siedler“ und deren Nachkommen am mittleren Lauf der Donau in den drei Nachfolgestaaten mit ein. Damit wurde die faktisch nicht vorhandene historische und kulturelle Einheit der „schwäbischen“ Siedlungsgebiete unterstrichen. Als Begriff der Wissenschaft eingeführt, setzte sich „Donauschwaben“ zunächst weder als Selbstbezeichnung noch als Fremdbezeichnung durch.
Nationalsozialismus und Vertreibung
Die Donauschwaben gerieten als Teil der deutschen Minderheiten in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien seit Mitte der 1930er-Jahre immer stärker unter den Einfluss des nationalsozialistischen Deutschland. Vom „Mutterland“ versprachen sie sich eine Verbesserung des eigenen Minderheitenstatuts im jeweiligen Staat. Dabei wurden sie spätestens mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in die rassisch motivierte Eroberungs- und Vernichtungspolitik des Deutschen Reiches einbezogen, an der sie sich auch aktiv beteiligten – organisatorisch, wirtschaftlich und militärisch.
Die weitgehenden Autonomierechte, die den deutschen Minderheiten als Volksgruppe in Ungarn, Rumänien und in dem von Hitlers Gnaden entstandenen Unabhängigen Staat Kroatien erhielten, ließen sie in den Augen dieser Staaten als eine „fünfte Kolonne“ Deutschlands erscheinen. Als solche wurden sie bei Kriegsende für den von Deutschland entfesselten Eroberungs- und Vernichtungskrieg mit verantwortlich gemacht. Deportationen der deutschen Bevölkerung zum Arbeitsdienst in die Sowjetunion sowie Enteignungen gab es in allen drei Staaten, allerdings hatten Flucht und Vertreibung unterschiedliche Folgen in den drei Ländern.
Weil es sich aktiv für eine Ausweisung seiner „Schwaben“ eingesetzt hatte, erhielt Ungarn wie Polen und die Tschechoslowakei mit dem Art. XIII des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 von den Alliierten die Erlaubnis, ihre gesamte, rund eine halbe Million umfassende deutsche Bevölkerung umzusiedeln. Tatsächlich wurde schließlich nur rund die Hälfte der Einwohner ausgewiesen. Etwa 180 000 wurden in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands verbracht, wobei im deutschen Südwesten Württemberg- Baden den Schwerpunkt bildete. Weitere 50 000 Schwaben wies Ungarn 1947 und 1948 in die Sowjetische Besatzungszone aus. Die andere Hälfte der Ungarndeutschen verblieb in Ungarn, wo viele von ihnen umgesiedelt und insgesamt wirtschaftlich deklassiert wurden, was ihren Assimilationsprozess beschleunigte.
Deklassierung, Enteignung und Flucht
In Jugoslawien gab es, soweit bisher bekannt, keinen förmlichen Ausweisungsbeschluss. Dafür wurde aber die verbliebene deutsche Bevölkerung enteignet und in Konzentrationslagern zusammengefasst. Die Bedingungen in diesen Lagern und die Ausschreitungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten rund 60 000 Tote zur Folge. Vom verbliebenen Rest der deutschen Bevölkerung floh bis 1947 ein Teil nach Ungarn. Im Zuge der Auflösung der Internierungs lager seit 1948 wurden ihre Insassen nach Ungarn und Österreich abgeschoben. Ein nicht unbeträchtlicher Teil wanderte dann nach Übersee und in die Bundesrepublik aus. Von den in Jugoslawien Verbliebenen kamen im Rahmen der Familienzusammenführung in den 1950er-Jahren etwa 62 000 Personen in die Bundesrepublik. Wenn auch eine geringe Zahl in Jugoslawien verblieb, so führte der Krieg dazu, dass die einst größte Minderheit in Jugoslawien faktisch nicht mehr existiert.
Aus dem rumänischen Banat flohen nur wenige Menschen. So wie der überwiegende Teil der deutschen Minderheiten Rumäniens verblieben die meisten Banater Schwaben in ihren Heimatorten. Es kam zu Plünderungen, Übergriffen und Gewalttaten der sowjetischen Truppen und auch vereinzelt von Angehörigen der rumänischen Bevölkerung. Aber sie hielten sich in Grenzen und trugen keinen systematischen Charakter. Eine Ausweisung der Banater Schwaben vergleichbar mit Ungarn und Jugoslawien gab es in Rumänien nicht. Die deutsche Minderheit wurde zunächst sowohl rechtlich als auch sozial und wirtschaftlich deklassiert. Zudem gab es neben der Deportation in die Sowjetunion temporäre Zwangsumsiedlungen innerhalb des Landes. Dennoch und gerade weil Rumänien seine deutsche Bevölkerung nicht auswies, bestand in Rumänien eine deutsche Minderheit bis zum Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 fort.
Geschichte und Erinnerung
Die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs dreigeteilte donauschwäbische Geschichte erfuhr als Folge des Zweiten Weltkriegs eine weitere geografische Aufsplitterung. Zu den in Ungarn und Rumänien Verbliebenen kamen die donauschwäbischen Flüchtlinge und Vertriebenen in Österreich, in der Bundesrepublik, in der DDR, in den USA und in weiteren Staaten Nord- und Südamerikas bis hin zu Südafrika und Australien hinzu. Zunächst sprach wenig dafür, dass sich der deutsche Südwesten zum Schwerpunkt der donauschwäbischen Flüchtlinge und Vertriebenen entwickeln würde. Das umso mehr, als die Ausweisung der „Schwaben“ aus Ungarn vorwiegend nach Württemberg-Baden nicht auf die Herkunft eines Teils der Vorfahren dieser Vertriebenen zurückzuführen ist, sondern rein logistisch begründet war.
Erst nach und nach wurde der deutsche Südwesten auch quantitativ betrachtet zum neuen Mittelpunkt der „Schwaben“ aus Ungarn, Rumänien und Jugoslawien. Die Vertriebenen aus diesen Staaten bildeten 1961 mit rund 23 Prozent, was etwa 350 000 Personen entspricht, nach den Sudetendeutschen die zweitstärkste Vertriebenengruppe in Baden-Württemberg. „Erst allmählich“ – so formulierte es ein aus dem Ofener Bergland stammender Donauschwabe – „drang das Bewußtsein in uns durch, daß diese Fremde uns neue Heimat werden muß.“
Mit der Verlagerung des Siedlungsschwerpunktes in den deutschen Südwesten ging die zunehmende Betonung der historischen Verbindungen der Donauschwaben mit dem deutschen Südwesten einher. Der erste „Tag der Donauschwaben“ fand mit hoher politischer Vertretung des Landes und des Bundes am 11. und 12. September 1954 eher zufällig in Esslingen am Neckar statt. Dabei stellten die Organisatoren, die Landsmannschaften der Donauschwaben aus Jugoslawien und die Landsmannschaft der Banater Schwaben aus Rumänien, die alle Donauschwaben verbindende Geschichte und Kultur in den Vordergrund.
Neckar- und Donauschwaben wachsen zusammen
Von der Übernahme der Patenschaft Bayerns über die Sudetendeutschen beeinflusst, fragten die Organisatoren geradezu in letzter Minute bei der Landesregierung Baden-Württembergs an, ob das Land bereit wäre, die Patenschaft über die Donauschwaben zu übernehmen. Als Begründung wurde auf die historischen Verbindungen zwischen dem deutschen Südwesten und den donauschwäbischen Siedlungsgebieten in Südosteuropa verwiesen sowie darauf, dass viele der donauschwäbischen Vertriebenen in Baden-Württemberg „verständnisvolle und herzliche Aufnahme“ gefunden hätten.
Im Staatsministerium stieß die Anfrage auf eine positive Resonanz. Im Rahmen des Festprogramms des „Tags der Donauschwaben“ in Esslingen wurde am 11. September eiligst ein neuer Programmpunkt eingefügt. Dabei verkündete Ministerpräsident Gebhard Müller die Entscheidung der Landesregierung und verlas den Text der Urkunde: „In Anbetracht der engen stammesmäßigen Verbundenheit der Bevölkerung des Landes Baden-Württemberg mit der Volksgruppe der Donauschwaben hat die Landesregierung beschlossen, die Patenschaft über die Volksgruppe der Donauschwaben zu übernehmen.“ In seiner Ansprache unterstrich Müller: „Das Zusammenwachsen der Neckar- und der Donauschwaben liegt der Landesregierung ganz besonders am Herzen. Ich überreiche die Patenschaftsurkunde und bitte Sie, in diesem Akt das Zeichen der Verbundenheit und unseres Dankes zu sehen.“
Baden-Württemberg als Patenland
Die Patenschaftsübernahme des Landes über die „Volksgruppe der Donauschwaben“ war der Ausgangspunkt für die in den folgenden Jahren in vielfältiger Weise von Vertretern der Landsmannschaften und der Landespolitik stets nachdrücklich unterstrichenen „historisch begründeten“ Verbindungen zwischen Baden-Württemberg und den Donauschwaben. Im Rahmen zahlreicher kommunaler Patenschaften baden-württembergischer Gemeinden für die Flüchtlinge und Vertriebenen einzelner donauschwäbischer Gemeinden entwickelte sich Ulm nach und nach zum zentralen Ort des Feierns und des Erinnerns an die „Stammesverwandtschaft“. 1956 fand der „Tag der Donauschwaben“ zum ersten Mal in Ulm statt. Oberbürgermeister Theodor Pfizer begrüßte die Gäste und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die „Beziehungen zwischen der Stadt Ulm und den Donauschwaben“ gestärkt werden.
Im Mittelpunkt stand am 15. September die „symbolische Grundsteinlegung des Ahnen-Auswanderer-Denkmals am Donauufer“. Der positiv beschiedene Antrag an die Stadt zur Errichtung des Denkmals war mit dem Hinweis auf die bedeutende Rolle Ulms „während der Auswanderung unserer Kolonistenväter“, auf den Roman „Der große Schwabenzug“ von Adam Müller-Guttenbrunn und die Rolle der Ulmer Schachteln im Auswanderungsprozess begründet worden. Als Standort für das aus Spenden finanzierte Denkmal bestimmte die Stadt das Donauufer vor der Wilhelmshöhe. Bei der Grundsteinlegung streute der Initiator des Denkmals, Franz Helfrich, Erde mit den Worten aus: „Alte Heimaterde vermähle dich mit der neuen Heimaterde!“
"Die alte Heimat"
Im Rahmen des dritten Tags der Donauschwaben, der vom 5. bis 10. August 1958 wieder in Ulm stattfand und mit 40 000 Teilnehmern der am besten besuchte Donauschwabentag war, wurde das aus einem Wettbewerb als Sieger hervorgegangene Denkmal des Bildhauers Erich Koch eingeweiht. Der Oberbürgermeister sprach dieses Mal bereits von „seinen Donauschwaben“ und von Ulm als dem zum Mittelpunkt bestimmten Ort „für die von ihrer Wahlheimat durch ein grausames Schicksal vertriebenen Donauschwaben – die Stadt, von der aus vor 200 Jahren ihre Vorfahren in den Südosten Europas gezogen sind“. Der Festakt mit kirchlicher Weihe des Denkmals fand am 9. August statt.
In der in den Sockel des Denkmals gelegten Urkunde heißt es: „Von dieser Stelle aus zogen vor zweihundert Jahren […] tausende Bauern die Donau hinab nach Wien und von dort in die durch die Türkenkriege verödeten Ebenen zum unteren Donaulauf, um hier ein Werk der Kolonisation zu schaffen.“ Zudem wird auf die Vertreibung der Donauschwaben verwiesen, in deren Folge sie „in die alte Heimat“ zurückgekehrt seien. Im Anschluss an den Festakt folgte eine „rekonstruierte Ahnen- Fahrt auf sog. ‚Schwabenplätten‘“ und die „Übergabe eines Lorbeerkranzes den Fluten der Donau“. Mit dem Ablauf und dem Inhalt dieser Feier wurde das Muster geschaffen, dem bis in die Gegenwart gefolgt wird. Seit 1962 heißt das Ufer vor dem Denkmal offiziell „Donauschwabenufer“.
Ulm wird zum Wallfahrtsort der Donauschwaben
Mit der Einweihung des Denkmals stieg Ulm zum Wallfahrtsort der Donauschwaben schlechthin auf. In der Folgezeit wurde an der nahe gelegenen Stadtmauer eine Reihe von Gedenktafeln einzelner Heimatortsgemeinschaften angebracht. Ulm wiederum bezeichnet sich seither als Stadt der Donauschwaben. Das Ulmer Auswanderer-Denkmal, wenn es auch nicht an der historisch verbürgten Ablegestelle der „Ulmer Schachteln“ liegt, ist zum Kristallisationspunkt der Verbindung von Ulm und den Donauschwaben geworden. In Ulm wurde 1960 auch der symbolische Grundstein für ein „Haus der Donauschwaben“ gelegt. Errichtet wurde es dann aber 1970 in Sindelfingen.
Nichtsdestotrotz blieb Ulm der zentrale Erinnerungsort. Daher bestand zwischen dem Bund, dem Land, der Stadt und den donauschwäbischen Landsmannschaften Einigkeit darüber, dass das „Donauschwäbische Zentralmuseum“ in Ulm entstehen sollte. Im Jahre 2000 öffnete es seine Pforten für die Besucher. Die Stadt Ulm wiederum nimmt das Jahr 2012 zum Anlass, um mit einem breiten kulturellen Programm an die 1712 angeblich ersten Emigranten zu erinnern, die mit „Ulmer Schachteln“ donauabwärts Richtung Ungarn fuhren. Ein Festakt am Auswanderer-Denkmal wird mit Sicherheit ein zentraler Punkt des Programms sein.
Das Ahnen-Auswanderer-Denkmal am Ulmer Donauufer verkörpert das Bild einer imaginierten Gruppe der Donauschwaben, für das Ulm und die Donau konstitutiv sind. Es stiftet Gemeinschaft durch Erinnern. Ulm und die Donau sind dabei die zeitübergreifenden und zeitlosen Fixpunkte, die Orientierung und Halt in einer wechselvollen, von Migration geprägten Geschichte bieten. Mit jeder Kranzniederlegung der Donauschwaben, von Vertretern der Stadt und des Landes wird die Erinnerung daran erneuert. Damit ist der über tausendjährigen Vergangenheit der Stadt Ulm in den letzten sechs Jahrzehnten eine Geschichte zugewachsen, die weit über die historisch verbriefte Vergangenheit hinausgeht.
Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg
DEMOKRATISCHE TRADITIONEN Karlsruhe - Stadt der Demokratie und des Rechts Das Stuttgarter Dreikönigstreffen |
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GESELLSCHAFT, RELIGION, Korntal und der Pietismus in Württemberg |
KUNST UND ARCHITEKTUR |
GEFÄHRDETE DEMOKRATIE, DIKTATUR, WIDERSTAND, HOLOCAUST, ZERSTÖRUNG Erinnerungsorte an Matthias Erzberger Laupheim und seine jüdische Geschichte Von Karlsruhe nach Kislau - Schaufahrt ins KZ |
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