Offenburg und Rastatt 1847-1849 – „Freiheit, aber auch Ordnung und Einheit des Vaterlandes“

Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

„Offenburg will Freiheit, aber auch Ordnung und Einheit des Vaterlandes!“ Diese Erklärung der Stadt Offenburg vom 19. April 1848 steht exemplarisch für die Haltung der Offenburger Bevölkerung während der Jahre 1847 bis 1849. Freiheit und Ordnung – zwischen diesen Polen bewegte sich der politische Protest in Baden in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Immer wieder wird das Bemühen eines großen Teils der Opposition in Baden im Vormärz und 1848/49 deutlich, sich innerhalb der Grenzen der gesetzlichen Ordnung zu bewegen.

Vielleicht war es gerade dieses Bemühen, das dazu führte, dass die politische Opposition in Baden 1847 bis 1849 auch heute noch im Bewusstsein der Bevölkerung präsent ist und auch das widerständige Auftreten badischer Bürger und Bürgerinnen gegenüber öffentlichen Einrichtungen ganz selbstverständlich zu stärken scheint.

Wo sonst, außer in Baden, kommt es heute noch vor, dass sich Bürger, um ihren Protest gegen Entscheidungen öffentlicher Institutionen zu bekräftigen, auf die revolutionäre Bewegung des 19. Jahrhunderts berufen, wie dies 2010 Manfred Wahl, der Chef der Bürgerinitiative „Bahntrasse Offenburg“ tat? Die Badische Zeitung berichtete am 30. Oktober 2010: Wahl „erinnerte an die Badische Revolution, die 1847 in Offenburg ihren Ausgang nahm, und an den Baustopp für das umstrittene Kernkraftwerk in Wyhl, der 1976 in Offenburg unterzeichnet wurde“.

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Autorin: Sonja-Maria Bauer

Der Text von Sonja-Maria Bauer erschien unter dem Titel „Offenburg und Rastatt 1847–1849“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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"Freiheit, aber auch Ordnung"

In Baden gab es 1847 bis 1849 nach dem Prinzip „Freiheit, aber auch Ordnung“ eine ganz besondere Verbindung von Bürgertum und politischem Protest, der es vielen etablierten Bürgern ermöglichte, sich aktiv zu beteiligen. Offenburg war eines der Zentren der politischen Protestbewegung des 19. Jahrhunderts. Dreimal trafen sich hier in den Jahren 1847, 1848 und 1849 Vertreter der politischen Opposition, um eine Solidarisierung der Oppositionellen zu schaffen und gemeinsame Forderungen öffentlich zu formulieren.

Die Versammlung im „Salmen“ in Offenburg am 12. September 1847

Offenburg eignete sich als landesweiter Treffpunkt in Baden, weil es von allen Orten des Landes per Bahn gut zu erreichen war. Im Gasthaus „Salmen“ in Offenburg formulierten badische Oppositionelle am 12. September 1847 ihre politischen Forderungen in einem 13-Punkte-Programm, das als „Offenburger Programm“ in ganz Deutschland bekannt wurde und zum ersten Mal neben politischen auch soziale Forderungen enthielt.

Die Einladung zur Versammlung im „Salmen“ erschien Ende August in allen oppositionellen Zeitungen des Landes, so in der Mannheimer Abendzeitung und in den Konstanzer Seeblättern. Auch als Flugblatt wurde sie verbreitet. Unterzeichnet war die Einladung von in ganz Baden bekannten Vertretern der badischen Opposition wie Friedrich Hecker, bis März 1847 Abgeordneter der Badischen Zweiten Kammer und dort Mitglied der liberalen Opposition, und Gustav Struve, Redakteur des radikal-oppositionellen Mannheimer Journals und geistiger Vordenker der geplanten Versammlung. Unterschrieben hatten auch lokale Repräsentanten Offenburgs wie Bürgermeister Gustav Rée und der Apotheker Eduard Rehmann.

Der Zweck der Versammlung war nach Struves Plänen die Standortbestimmung eines Teils der liberalen Opposition in Baden. Diese Opposition spaltete sich gerade in eine Mehrheit von gemäßigten Liberalen, die auf politische Reformen innerhalb der konstitutionellen Monarchie setzte, und in eine kleinere Gruppe radikaler Demokraten, für die letztlich nur eine Republik als Staatsform akzeptabel war. Gustav Struve hatte die Absicht, bei der Versammlung im Offenburger „Salmen“ ein Programm für diese radikal-demokratische Gruppe beschließen zu lassen.

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Eine Demonstration für Freiheit und Ordnung

Die Versammlung begann mit einem Mittagessen um 13 Uhr, an dem ungefähr 200 bis 250 Gäste teilnahmen. Dabei wurde das von Struve und Hecker entworfene Programm vorbesprochen, bevor um 15 Uhr der Saal für das allgemeine Publikum geöffnet wurde. Insgesamt sollen sich zwischen 700 und 900 Menschen in den Raum gedrängt haben. Die Inszenierung des Raums lässt sich als öffentliches Bekenntnis der Offenburger Veranstalter zur bestehenden Verfassungsordnung in Baden verstehen.

In der Mitte des Saales war eine Rednertribüne aufgebaut. Dahinter standen die Büsten Karl Friedrichs, des ersten Großherzogs von Baden, und seines Nachfolgers Karl, der 1818 die Badische Verfassung erlassen hatte. Hier war auch ein Exemplar dieser Verfassungsurkunde ausgelegt. An der Wand hingen außerdem ein Porträt des regierenden Großherzogs Leopold, daneben Porträts führender oppositioneller Kammermitglieder, nämlich die der bekannten badischen Liberalen der „alten Generation“, Karl von Rotteck, Adam von Itzstein und Alexander von Soiron, ebenso Porträts der beiden Hauptredner der Versammlung, Friedrich Hecker und Gustav Struve. Eine Demonstration für „Freiheit und Ordnung“ der Offenburger Veranstalter!

Die Versammlung wurde von den lokalen Vertretern Offenburgs, Eduard Rehmann und Gustav Rée, eröffnet. Als erster Hauptredner setzte sich dann Gustav Struve in seinen Ausführungen mit der Unterdrückung der Meinungsund Versammlungsfreiheit und der Verfolgung der politischen Opposition im Deutschen Bund seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 auseinander, die die Unterdrückung der liberalen Bewegung beispielsweise durch die Einschränkung der Pressefreiheit ermöglichten. Diese widersprachen – so Struve – auch der Badischen Verfassung, und er rief sein Publikum auf, die Badische Zweite Kammer unter Druck zu setzen, um diese Verstöße gegen die Verfassung zu beenden. Damit stimmte er das Publikum schon auf den vorbereiteten Forderungskatalog ein. Diesen stellte dann der zweite Hauptredner des Nachmittags, Friedrich Hecker, vor.

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Eine „magna carta“

„Wir haben in dieser vor mir liegenden Karta, gleich einer magna carta, diejenigen Punkte aufgenommen, welche wir für eine wahre Volksfreiheit unentbehrlich halten. Wir wünschen, dass sie dem Inhalte dieser Karta Ihre Beistimmung verleihen möchten durch ein lautes Ja.“ Dann verlas Hecker die 13 Punkte des Programms, das die Verfasser selbstbewusst als „Die Forderungen des Volkes“ bezeichneten. Die Anwesenden stimmten mit einem lauten „Ja“ zu. Diese 13 Forderungen wurden als „Offenburger Programm“ der radikalen Demokraten in ganz Deutschland bekannt.

Was war das Neue an diesen Forderungen, außer dass zum ersten Mal in Deutschland eine politische Gruppierung ihre Ziele in Form eines Programms veröffentlichte? Zunächst wurde im ersten Artikel die Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse von 1819 und der Folgebeschlüsse von Frankfurt und Wien aus den Jahren 1831 bis 1834 gefordert, die zu Zensur und jahrelanger Verfolgung der politischen Opposition im Deutschen Bund geführt hatten. Dann wurden in den Artikeln 1 bis 7 Forderungen formuliert, die im Wesentlichen das vorwegnahmen, was 1848 in den „Märzforderungen“ der deutschen Revolution von allen Liberalen gefordert wurde.

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Die "Offenburger Forderungen"

Es waren grundlegende Menschenrechte, vor allem die Forderung nach Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Lehre und Religionsfreiheit (Artikel 2 und 3), nach persönlicher Freiheit (Artikel 5), Versammlungsfreiheit, nach dem Recht, Vereine zu gründen, und schließlich nach Freizügigkeit. Neben diesem Grundrechtekatalog enthalten die „Offenburger Forderungen“ noch vier weitere Forderungen, die sich 1848 ebenfalls in den liberalen Märzforderungen in ganz Deutschland wieder fanden: So wurde die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung gefordert (Artikel 4). Das Militär sollte ein Bürgerheer sein mit dem Recht aller Bürger, eine Ausbildung an der Waffe zu bekommen (Artikel 7).

Weiter wurden Geschworenengerichte (Artikel 11) gefordert, die Abschaffung sämtlicher Vorrechte (des Adels) (Artikel 13) und eine gesamtdeutsche Volksvertretung (Artikel 6).

Dem größten Teil der „Offenburger Forderungen“ von 1847 hätten auch alle gemäßigten Liberalen zustimmen können. Das eigentlich Neue, politisch Radikale enthielten die Artikel 8, 9 und 10. Hier wurden eine „gerechte“, das heißt progressive Einkommensteuer gefordert, der gleiche Zugang zur Bildung für alle Bürger (unabhängig vom Einkommen) und die „Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Arbeit und Capital“ mit einem besonderen Schutz der Arbeit(er). Diese sozialen Forderungen markierten die Trennung der in Offenburg versammelten radikalen Demokraten von den gemäßigten Liberalen.

Das Reizwort "Republik"

Eine Diskussion über das Für und Wider einer konstitutionellen Monarchie wurde bei der Versammlung im „Salmen“ nicht geführt, das Reizwort „Republik“ wurde nicht ausgesprochen, sei es aus Vorsicht vor möglichen Repressalien der Regierung, sei es aus Rücksicht auf die potenzielle Anhängerschaft, die nicht in einen Konflikt mit dem eigenen Staat gedrängt werden sollte. Dennoch wurde das „Offenburger Programm“ in der Folgezeit nicht nur als Angriff auf die amtierende badische Regierung verstanden, sondern auch als Aufruf zur Revolution, was das Mannheimer Morgenblatt schon in seiner Ausgabe am 14. September 1847, zwei Tage nach der Versammlung, feststellte.

Die Versammlung im „Salmen“ und das „Offenburger Programm“ von 1847 trugen dazu bei, die Trennung der liberalen Opposition in eine radikale, demokratische und eine gemäßigte, liberale Gruppe voranzutreiben. Allerdings wurde eine endgültige Spaltung vermieden, da die Frage nach der republikanischen Staatsform ausgeklammert wurde. So konnte die Vorstellung, alle Ziele auf dem Weg der Reform innerhalb der bestehenden Ordnung erreichen zu können, als gemeinsame Basis gewahrt werden.

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Die Volksversammlung vom 19. März 1848 in Offenburg

Nachdem sich die Nachricht von der Februarrevolution im Jahr 1848 in Paris auch in Baden rasend schnell verbreitet hatte, kam es hier schon Ende Februar zu ersten Protesten auf lokaler Ebene. Bereits am 27. Februar 1848 wurden in Mannheim Forderungen formuliert, die in den folgenden Wochen als „Märzforderungen“ überall in Deutschland ähnlich gestellt werden sollten. Die Mannheimer Bürger verlangten „Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne Unterschied der Geburt und des Standes“, weiter „allgemeine Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Schwurgerichte und die Wahl eines deutschen Parlaments“. Das Vorbild der ein halbes Jahr vorher formulierten „Offenburger Forderungen“ ist klar erkennbar.

Um den Protesten in Baden eine breite Basis zu geben, luden Mannheimer und Heidelberger Bürger am 9. März 1848 von Karlsruhe aus zu einer Versammlung aller Badener nach Offenburg ein. Die Wahl war wegen der zentralen Lage und der guten Erreichbarkeit per Bahn wiederum auf diese Stadt gefallen. Unter den Unterzeichnern der Einladung waren bekannte badische Politiker und Journalisten aus den Reihen der demokratischen Opposition wie Adam von Itzstein, Friedrich Hecker, Ignaz Peter, aber auch gemäßigte Liberale wie Karl Mathy, Alexander von Soiron und Carl Theodor Welcker.

Wie bereits bei der Versammlung im „Salmen“ wurden nun auch im Vorfeld der geplanten Volksversammlung Stimmen für die Republik laut. In einem Offenburger Flugblatt vom 19. März 1848 wurde formuliert: „Fort mit den Fürsten und ihrem Anhang; wir wollen uns selbst regieren, einig, frei und wohlfeil. Es lebe die Republik!“ Auch wurde bekannt, dass der Journalist Joseph Fickler im Seekreis die Ausrufung der Republik forderte und mit der Absicht nach Offenburg kommen wollte, dies bei der Versammlung am 19. März zu tun. Bereits am Samstag vor der geplanten Volksversammlung trafen sich im Gasthaus „Zur Post“ führende Oppositionelle, darunter Hecker, Struve, Itzstein und Fickler, zu einer Vorbesprechung. Auch der gemäßigte Liberale Karl Mathy reiste an. Zentrales Thema war hier nach Struves Bericht die Frage der Republik. Fickler forderte tatsächlich zur Ausrufung der Republik auf, fand allerdings keine Mehrheit unter den Anwesenden.

Eine „neue Ära unseres öffentlichen Lebens“

Die Volksversammlung am folgenden Sonntag wurde um 11 Uhr auf dem Platz vor dem Offenburger Rathaus eröffnet. Mindestens 3000, nach anderen Schätzungen zwischen 10 000 und 20 000 Menschen aus ganz Baden versammelten sich dort an diesem Sonntagvormittag. Alle Redner verzichteten auf eine Ausrufung der Republik. Baden sollte keinen Sonderweg gehen. Hecker und Fickler bekannten sich zwar zur Republik als der anzustrebenden Staatsform, erklärten aber, dass die Entscheidung über die zukünftige Staatsform Deutschlands Aufgabe des zu wählenden deutschen Parlaments in Frankfurt sei.

Ob die Republikaner „zweifellos eine einmalige geschichtliche Chance“ verpassten, wie dies Franz X. Vollmer in seiner Untersuchung Offenburg 1848/49 bedauert, ist im Nachhinein nicht zu entscheiden. Die Zeitgenossen, ob Anhänger der Republik oder deren Gegner, hoben anderes hervor. So lobten Berichte in der Presse (im Offenburger Wochenblatt und in der Oberrheinischen Zeitung) vor allem, dass diese Versammlung friedlich abgelaufen war, dass die wenigen Leute, die mit Waffen erschienen, diese vor Betreten der Stadt ablieferten. Von revolutionärem Chaos oder Aufruhr konnte keine Rede sein. Die Versammlung strahlte eher eine sonntägliche Festlichkeit aus. Ein erklärter Gegner der radikalen Demokraten, der liberale badische Historiker Ludwig Häusser, kommentierte in seiner frühen Darstellung der Ereignisse von 1848/49 in Baden aus dem Jahr 1851, dass sich bei dieser Versammlung eine neue Form des öffentlichen Lebens entwickelt hatte, die er allerdings abwertend in drohender Anspielung auf die Französische Revolution als „das öffentliche Leben in Clubs, Wohlfahrtsausschüssen[n] und leicht zu leitende[n] Volksversammlungen“ beschrieb. Das Offenburger Wochenblatt begrüßte diese neue Form des politischen Agierens jedoch sehr positiv als „neue Aera unseres öffentlichen Lebens“.

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Friedliche Demonstration

In Offenburg hatte sich innerhalb weniger Monate eine neue Form politischer Partizipation der Bürger entwickelt, die von vielen Bürgern wie selbstverständlich in Anspruch genommen wurde. Sie entwickelten über Zeitungen und Flugblätter Kommunikationsstrukturen, über die landesweit und demokratisch für alle zugänglich Informationen verbreitet wurden. Auch außerhalb der Zirkel des durch persönliche Kontakte verbundenen Bildungsbürgertums versammelten sie sich im öffentlichen Raum und formulierten ihre politischen Forderungen. Und dies alles lief friedlich und – bei Mobilisierung von tausenden von Bürgern – in einer bemerkenswerten Ruhe und Ordnung ab.

Die Mehrheit der Offenburger Bevölkerung verfolgte auch während der unruhigen Tage im Frühjahr 1848 das Prinzip des friedlichen Protests und der Demonstration für die eigenen politischen Ziele ohne Gewaltanwendung. Diese Haltung behielt die Mehrheit der Offenburger auch während des Heckerzugs im April bei. Friedrich Hecker, enttäuscht von der ablehnenden Haltung im Vorparlament gegenüber seinem Antrag auf Einführung einer Republik in Deutschland, wollte mit seinen Anhängern vom Seekreis aus eine Revolution in Baden und schließlich auch in ganz Deutschland auslösen.

"Offenburg will Freiheit, aber auch Ordnung und Einheit des Vaterlandes"

Als Heckers Vorhaben am 18. April in Offenburg bekannt wurde, versuchte eine Gruppe vor allem jüngerer Bürger, in einer bewaffneten Aktion die Stadt und den Bahnhof zu besetzen, um Offenburg als wichtigen Verkehrsknotenpunkt für die Aufständischen zu sichern und um in der Stadt die Republik zu proklamieren. Bürgermeister Rée schritt ein, um die Situation zu beruhigen. Er wollte eine ProklamaProklamation der Republik vermeiden und kündigte für den nächsten Morgen eine Bürgerversammlung an, um deren Meinung zu dieser Frage zu hören.

Rées Deeskalationspolitik hatte Erfolg. Bei der Bürgerversammlung am Morgen des 19. April erklärte sich die Mehrheit der Anwesenden gegen die Ausrufung der Republik. Die Versammlung beschloss die anfangs zitierte „Erklärung der Stadt Offenburg“. Darin hieß es, dass die Ideen von Hecker und Struve immer mehr Anhänger fänden und dass sich gerade in Offenburg „kräftige Sympathien für die republikanische Staatsform im größten Teil seiner Einwohner finden.“ Dennoch wollten die Offenburger nicht sofort die Republik proklamieren und nicht die bestehende staatliche Ordnung verändern. Hier wurde auf die Aufgabe der Nationalversammlung in Frankfurt verwiesen und abschließend betont: „Offenburg will Freiheit, aber auch Ordnung und Einheit des Vaterlandes. Gott mit uns!“

Viele der Offenburger, die sich am Tag zuvor für die Unterstützung des Heckerzuges eingesetzt hatten, verließen die Stadt und flohen in die Schweiz oder nach Straßburg. Heckers Versuch der Republikanisierung Deutschlands wurde militärisch niedergeschlagen. Hecker und viele seiner Anhänger flohen ebenfalls ins benachbarte Ausland oder wurden verhaftet.

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Offenburg in der Badischen Mairevolution von 1849

Im Mai 1849 wurde Offenburg zum dritten Mal Zentrum der politischen Protestbewegung. In Baden war seit dem Jahreswechsel 1848/49 eine landesweite Organisation der Demokraten, die Volksvereine, entstanden. Führender Kopf war Amand Goegg, der die Volksvereinsorganisation gemeinsam mit dem Mannheimer Advokaten Lorenz Brentano aufbaute. Im Frühjahr 1849 waren schätzungsweise zwischen 35 000 und 50 000 Badener in einem Volksverein organisiert. Ungefähr jeder zehnte Mann in Baden war danach Mitglied in einem Volksverein. In Berlin hatte der preußische König die ihm von der Paulskirchenversammlung angetragene Würde eines deutschen Kaisers im April abgelehnt. Die von der Paulskirche ausgearbeitete Verfassung für ein geeintes Deutschland drohte zu scheitern.

In dieser Situation lud Amand Goegg die Vertreter aller badischen Volksvereine für den 12. Mai 1849 zu einem Landeskongress nach Offenburg ein und für den folgenden Sonntag zu einer allgemeinen Volksversammlung. Goegg betonte in seinen Erinnerungen von 1876, bei diesen Veranstaltungen sollte nicht die Reichsverfassung unterstützt, sondern die Republik ausgerufen werden.

Die Deputierten der Volksvereine trafen sich am 12. Mai 1849 im Gasthaus „Zähringer Hof “ in Offenburg. Schnell wurde klar, dass sich Goegg in der Versammlung mit seinem Plan, die Republik auszurufen, nicht durchsetzen konnte. Die gemäßigte Mehrheit der Volksvereinsvertreter sprach sich dagegen aus. Die Versammlung beschloss, eine Gesandtschaft mit verschiedenen Forderungen nach Karlsruhe zu schicken. Gefordert wurden von der Badischen Regierung die Auflösung der beiden badischen Kammern, der Rücktritt des Ministeriums unter der Leitung von Innenminister Bekk, die Berufung einer verfassunggebenden Versammlung und eine Amnestie für politische Vergehen. Während die Deputation noch am selben Abend nach Karlsruhe reiste, entwarf Goegg mit der radikalen Minderheit ein Programm, das am folgenden Tag der Volksversammlung vorgelegt werden sollte.

Die Volksversammlung

Die Volksversammlung begann am folgenden Sonntag um 14 Uhr wieder auf dem Offenburger Rathausplatz. Ungefähr 35 000 bis 40 000 Menschen waren aus ganz Baden gekommen. Goegg stellte das am Vortag entworfene 16-Punkte- Programm vor. Es enthielt bekannte Märzforderungen (allgemeine Volksbewaffnung, Einführung von Geschworenengerichten, Selbstständigkeit der Gemeinden gegenüber den staatlichen Verwaltungsbehörden) und die Forderungen, die am Vortag an die Regierung in Karlsruhe geschickt worden waren.

Weiterhin wurden in diesem Programm ähnliche soziale Forderungen formuliert wie bereits im Offenburger Programm von 1847 (Schutz der Bevölkerung vor einem „Übergewicht der großen Kapitalisten“ durch die Gründung einer Nationalbank, größere Steuergerechtigkeit durch eine progressive Besteuerung und eine Alterssicherung durch einen „Landespensionsfonds“ für alle Bürger). Vor allem jedoch wurde die badische Regierung aufgefordert, unbedingt die Reichsverfassung anzuerkennen und sich für deren Durchführung einzusetzen.

Die Volksversammlung beschloss dieses Programm, das Punkt für Punkt verlesen wurde. Inzwischen war die am Vorabend nach Karlsruhe entsandte Delegation zurückgekehrt und berichtete, dass die großherzogliche Regierung alle Forderungen abgelehnt hatte. Trotzdem blieb die Versammlung bei ihrer gemäßigten Haltung. Es kam auch nach der Bekanntgabe dieser enttäuschenden Nachricht nicht zur Proklamation der Republik. Der Landesausschuss, die organisatorische Spitze der Volksvereine, wurde beauftragt, sich für die Durchsetzung der beschlossenen Forderungen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln einzusetzen.

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Konsequenter Parlamentarismus

Die Badener blieben auch jetzt wie 1847 und 1848 bei ihrem Grundsatz, politische Partizipation konsequent auf dem Weg der politischen Verhandlung zu erreichen. Die Hoffnung auf das Prinzip des politischen Konsenses behielt die gemäßigte Mehrheit der badischen Demokraten auch während der folgenden sich zur Revolution entwickelnden Ereignisse zwischen Mai und Juli 1849 bei. So formulierte der Innenminister der badischen Revolutionsregierung, Florian Mördes, am 18. Juni 1849 in der revolutionären „Verfassunggebenden Versammlung“: „[…] und wenn auch die andern [deutschen Länder] vor der Hand nicht weiter gehen wollen als bis zur Durchführung der Reichsverfassung, so müssen wir uns dennoch fest an sie anklammern. […] Wenn wir die Reichsverfassung fallen lassen, dann sind wir verloren; wir müssen ein gesetzliches Fundament haben, der Deutsche ist gewöhnt, auf einem gesetzlichen Boden zu stehen, darum führen wir ihn in den Kampf für die Reichsverfassung, ein neues Parlament wird das Weitere beraten.“ Das war ein klares Bekenntnis zum Parlamentarismus, den die Badener konsequent praktizierten, auch als sich die revolutionären Ereignisse zuspitzten.

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Rastatt: „Wir sind das Volk, das seine Freiheit fordert!“

Zeitgleich mit der dritten Offenburger Versammlung kam es am Wochenende vom 12./13. Mai 1849 in der Bundesfestung Rastatt zu einem Soldatenaufstand. Unter dem Wahlspruch: „Wir sind das Volk, das seine Freiheit fordert!“, schlossen sich die Soldaten und die Rastatter Bürger zusammen. Die meisten Offiziere verließen die Festung, die verbliebenen Offiziere und Soldaten beschlossen die Unterstützung der Oppositionsbewegung im Land und schickten eine Delegation nach Offenburg, die dort am Sonntag eintraf. Die Soldaten erklärten, dass sich die Rastatter Soldaten für die Durchführung der Reichsverfassung und für die Berufung einer verfassunggebenden Versammlung in Baden einsetzten.

Diese unerwartete Entwicklung gab den Ereignissen im Land eine völlig neue Dynamik. Die Nachricht vom Soldatenaufstand in Rastatt, dem auch Aufstände in anderen Garnisonen des Landes folgten, veranlasste den Großherzog und seine Minister, in der Nacht zum 14. Mai 1849 Baden zu verlassen. Der Landesausschuss der Volksvereine schien plötzlich die einzige Institution mit der nötigen Autorität, um im Land für Ordnung zu sorgen. Der Karlsruher Gemeinderat trat mit der Bitte an den Landesausschuss heran, nach Karlsruhe zu kommen um „für den Schutz der Stadt“ und für die Ordnung im Land zu sorgen.

Das Militär hatte sich auf die Seite der Oppositionsbewegung gestellt, ein für jede Revolutionsbewegung entscheidender Schritt, der den Erfolg eigentlich garantieren kann. Das Land Baden mit nahezu der kompletten Beamtenschaft unterstellte sich dem Landesausschuss. Die Beamten leisteten sogar einen Eid auf die neue, provisorische Regierung, lediglich mit dem Vorbehalt ihrer Verpflichtung gegenüber der Badischen Verfassung. Der Landesausschuss leitete als provisorische Regierung Maßnahmen zur Umsetzung der 16 in Offenburg beschlossenen Forderungen ein. Er führte vor allem Wahlen zur lange geforderten verfassunggebenden Versammlung für Baden durch, um seine Regierung auf eine demokratisch legitimierte, parlamentarische Basis zu stellen. Diese Versammlung wurde nach einem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten (Männer-)Wahlrecht gewählt und trat am 10. Juni in Karlsruhe zusammen, um ihre Arbeit aufzunehmen.

Symbol des Kampfes für die Freiheit

Diese schnellen Erfolge konnten nicht über die Realität der Entwicklung in Deutschland hinwegtäuschen. Die Proteste und Aufstände für die Reichsverfassung hatten zur militärischen Mobilisierung vor allem Preußens geführt. Preußische Truppen marschierten bereits am 12. Juni 1849 in die Rheinpfalz ein und drangen bis zum 15. Juni, ohne auf größeren Widerstand zu stoßen, bis nach Ludwigshafen vor. Am 20. Juni begann der Angriff dieser Truppen entlang des Rheins auf Baden. Gleichzeitig griff ein Korps Reichstruppen, die vom Reichskriegsministerium in Frankfurt entsandt worden waren, entlang des Neckars an. Insgesamt wurden rund 60 000 Soldaten Preußens und des Reichs gegen Baden in Marsch gesetzt. Ihnen stand ein ungefähr 40 000 Mann starkes badisches Heer gegenüber, das kaum zur Hälfte aus regulärem Militär bestand. Die übrigen Truppen waren neu aufgestellte Volkswehren und Freischaren.

Den angreifenden Truppen konnten sie letztlich keinen entscheidenden Widerstand entgegensetzen. Am 22. Juni wurde Mannheim, am 23. Juni Heidelberg und am 25. Juni Karlsruhe von preußischen Truppen besetzt. Die Führung der badischen Revolutionäre zog sich gemeinsam mit einem großen Teil der badischen Revolutionsarmee in den Süden des Landes zurück. Ein Teil der badischen Truppen wurde jedoch nach den Kämpfen entlang der Murg in Rastatt von preußischen Truppen eingeschlossen. Die optimistisch gemeinte Aussage Amand Goeggs in der letzten Sitzung der Verfassunggebenden Versammlung, die am 28. Juni in Freiburg nochmals zusammentrat, wirkt im Nachhinein eher verzweifelt: „Die Artilleristen in Rastatt waren es, welche die Revolution gemacht und geschworen haben, sich bis auf den letzten Mann zu vertheidigen. 280 Kanonen werden die Preußen überzeugen, daß, wenn sie die Festung angreifen, sie an den Mauern von Rastatt ihre Köpfe zerschellen.“

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Die Niederlage der Badischen Revolutionsarmee

Zwölf Tage später zog Goegg sich mit den badischen Truppen, die den Rückzug nach Süden schafften, über die Grenze in die Schweiz zurück. Die vollständig von preußischen Truppen eingeschlossene Besatzung der Festung Rastatt leistete noch zwei Wochen Widerstand, bis sie am 23. Juli 1849 bedingungslos kapitulieren musste.

Sofort setzten die preußischen Sieger Standgerichte ein, die im Ahnensaal des Rastatter Schlosses tagten. 47 Standrechtsurteile wurden verhängt, darunter 21 Todes- und 26 Zuchthausstrafen. 19 Todesurteile wurden in den Festungsgräben oder auf dem Schießplatz in Rastatt vollstreckt. Die ersten Opfer der preußischen Erschießungskommandos waren der Württemberger Ernst Elsenhans, der während der Belagerung den Rastatter Festungsboten herausgegeben hatte, der badische Offizier Ernst August von Biedenfeld, der einer der wenigen badischen Offiziere gewesen war, die sich der Revolution angeschlossen hatten, und Gustav Nikolaus Tiedemann, ebenfalls badischer Offizier, der die Festung während der preußischen Belagerung kommandiert hatte.

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Dossier: Die Revolution 1848/1849 in Baden und Württemberg

Die Deutsche Revolution nahm in Baden ihren Anfang – und endete hier. Als erste revolutionäre Aktion in Deutschland gilt die Mannheimer Volksversammlung am 27. Februar 1848. Das Ende der Revolution ist die Niederlage der badischen Revolutionsarmee in der Festung Rastatt am 23. Juli 1849. Wie kam es zur Revolution? Und warum scheiterte sie? Diese Seite informiert über die Revolution in Baden, den Verlauf der Badischen Revolution und die Wege der Revolutionäre.

Dossier: Die Badische Revolution

Trauer und Betroffenheit fordern Erinnerung

Der mutige, vergebliche Kampf gegen die preußische Übermacht und das Sterben der in Rastatt standrechtlich erschossenen Freiheitskämpfer rief Trauer und Betroffenheit bei vielen Menschen hervor. Dies führte dazu, dass das Geschehene nicht vergessen wurde. 25 Jahre nach der Kapitulation von Rastatt stellte ein Komitee unter Vorsitz von Amand Goegg, der nach einer Amnestie von 1862 nach Baden zurückgekehrt war, den Antrag, in Rastatt einen Obelisken für die 19 standrechtlich erschossenen Freiheitskämpfer aufzustellen. Der preußische Festungskommandant von Rastatt lehnte dies ab. Der Obelisk wurde schließlich 1879 in Goeggs Heimatstadt Renchen, offiziell als Denkmal für den ehemaligen Schultheißen des Ortes, Johann Jakob Christoph Grimmelshausen, den Verfasser des Simplicissimus-Romans, aufgestellt. Für die siegreichen preußischen Truppen wurde bereits am 23. Juli 1852, drei Jahre nach der Kapitulation von Rastatt, in Karlsruhe ein Ehrentempel für alle 1849 in Baden gefallenen Preußen errichtet.

1899 durfte dann schließlich ein Findling in Rastatt zur Erinnerung an die 19 erschossenen Freiheitskämpfer aufgestellt werden, nicht als Denkmal, sondern als Grabstein mit den Namen der Erschossenen und der Inschrift: „Ruhestätte für die im Jahre 1849 zu Rastatt standrechtlich erschossenen [!]“. Zum 75. Jahrestag im Jahr 1924 – zur Zeit der Weimarer Republik – wurde hinter dem Partizip dann das Wort „Freiheitskämpfer“ ergänzt.

Gegen den Versuch der Unterdrückung wurde im Südwesten die Erinnerung an den Kampf und das Opfer der Freiheitskämpfer in Rastatt wachgehalten und lebte nicht zuletzt in einer Preußenfeindlichkeit weiter, wie sie beispielsweise im bekannten Badischen Wiegenlied zum Ausdruck gebracht wurde. Es war und blieb allerdings die Erinnerung an die Niederlage im Freiheitskampf, die sich untrennbar mit Rastatt verband.

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Offenburg – die späte Erinnerung an bürgerliches Engagement und politische Partizipation

Die Erinnerung an die eigentlichen Ziele der bürgerlichen Protestbewegung während des Vormärz und der Revolution von 1848/49 traten gegenüber der Erinnerung an die Niederlage von Rastatt für lange Jahre in den Hintergrund. Die vielen neu entwickelten Formen eines immer friedlichen Prowie politische Bankette, politische Reden, Volksfeste und Volksversammlungen und die Organisation des politisch immer selbstbewusster werdenden Bürgertums in den verschiedensten Vereinen, waren Formen politischer Partizipation, die sich aus der Bevölkerung heraus als basisdemokratisches Engagement entwickelten.

Diese demokratischen Formen politischen Engagements, mit denen das Volk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer selbstbewusster die Teilhabe an politischen Entscheidungen forderte und teilweise auch erreichte, wurden nach der Niederlage in Rastatt unterdrückt. Ein Ort, an dem an diese friedlich praktizierte politische Partizipation hätte erinnert werden können, drängte sich nicht in dem Maße auf wie Rastatt als Erinnerung an den mutigen Kampf, aber eben auch an die Niederlage der Freiheitskämpfer von 1848/49.

Offenburg als Wurzel des demokratischen Protests

Erst durch die Gründung der „Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“ im Rastatter Schloss auf Initiative von Bundespräsident Gustav Heinemann (1969–1974) änderte sich das. Die demokratische Protestbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, für die beispielhaft die drei hier beschriebenen Offenburger Versammlungen stehen, wird in der „Erinnerungsstätte“ nicht mehr nur unter dem Blickwinkel der Niederlage, sondern als wichtige Wurzel der demokratischen Tradition in Deutschland thematisiert.

In dieser Tradition steht auch der Entschluss der Stadt Offenburg aus dem Jahr 1997, das ehemalige Gasthaus „Salmen“ zu kaufen und dort eine Erinnerungsstätte für die Versammlung vom 12. September 1847 und an das dort verfasste „Offenburger Programm“ zu errichten. Im selben Jahr beteiligten sich über 100 000 Menschen am Offenburger Freiheitsfest zur Erinnerung an den 150. Jahrestag der Versammlung von 1847.

Erinnerung braucht Orte und Aktionen, an denen und durch die sie lebendig erhalten wird. Dass dies gelingt, beweist der zu Beginn zitierte Sprecher der Offenburger Bürgerinitiative von 2010, der sich selbstbewusst auf den demokratischen Protest von 1847 beruft.

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Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

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