Landeshymnen

Badenerlied, Lied der Württemberger und Hohenzollernlied

In den historischen Teilen des heutigen Baden-Württemberg hat sich je eine Hymne erhalten: das Badnerlied, die Hymne der Württemberger und das Hohenzollernlied.

Wer im Stadion ein Fußballspiel des SC Freiburg besucht, erlebt, wie aus tausenden von Kehlen das Badnerlied erschallt. Und wer in Tübingen bei einer der zahlreichen Studentenverbindungen einen Kommers mitmacht, erlebt am Höhepunkt des Abends, wie die inoffizielle Hymne der Württemberger Preisend mit viel schönen Reden geschmettert wird. Seltener zu hören ist das Hohenzollernlied, allenfalls bei Vereinsfesten im ehemaligen Hohenzollern.

Kräftig gesungen – man stand auf! – wurden diese Landeshymnen auch im Vorfeld der Schaffung des Südweststaates. Eine Baden-Württemberg-Hymne gibt es demgegenüber auch heute noch nicht. Hat das etwas zu bedeuten? Welche Funktionen erfüllen solche Hymnen? Was sagen sie aus über Besonderheiten und Befindlichkeiten eines Landes? Und schließlich: Wie muss die Machart sein, damit ein Lied zur Hymne des Landes oder eines selbstbewussten Landesteils aufsteigen kann?

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Autor: Hans-Georg Wehling

Der Text von Hans-Georg Wehling erschien unter dem Titel „Die Landeshymnen. Hier leben die 'Ausgangsländer' Baden, Württemberg und Hohenzollern fort“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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Die drei Hymnen: Badenerlied, Lied der Württemberger und Hohenzollernlied

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Die drei Hymnen und die „alten“ Länder

Die drei Hymnen aus Baden-Württemberg beziehen sich auf die drei „alten“ Länder, die wiederum so alt nicht sind: Sie sind Geschöpfe der napoleonischen Neuordnung und fanden ihr Ende 1945, als die beiden Besatzungsmächte USA und Frankreich auf deren Boden drei Staaten bildeten, die dann 1952 im neuen Südweststaat Baden-Württemberg aufgegangen sind. 150 Jahre also hatten die „alten“ Länder Bestand, aber die Identitäten lebten auch nach 1952 weiter. Die Lieder werden nach wie vor im historischen, politisch-kulturellen Kontext gesungen. Eine Analyse der Melodien muss hier entfallen. Wir können jedoch davon ausgehen, dass sie in ähnlicher Weise zum kräftigen Mitsingen herausfordern.

Interessant ist die vergleichende Textanalyse. Da haben wir es mit drei unterschiedlichen Typen zu tun: mit dem additiven Text des Badnerliedes, dem Geschichtsmythos der württembergischen Hymne und dem Heimwehlied aus Hohenzollern. Mit dem Badnerlied verbindet das Hohenzollernlied, dass beide den „Geltungsbereich“ zu definieren suchen: das Hohenzollernlied steckt das Land großräumig ab, verortet es zwischen Württemberg, Baden, Bayern und der Schweiz – ein nachvollziehbares Unterfangen, gibt es doch keine natürlichen Grenzen und ist die Gestalt Hohenzollerns lediglich dynastisch zu umreißen, zwischen Neckar, Schwäbischer Alb, Allgäu bzw. Bodenseevorland sich durchschlängelnd. Die grobe Einordnung im Lied scheint sich eher an den Fremden zu richten, wozu ja auch die ins Land gekommenen neuen preußischen Herren gehörten.

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Der Kontext der napoleonischen Neuordnung

Eine neue Aufgabenstellung für Hymnen bringt die Schaffung „neuer“, zumindest deutlich vergrößerter Staaten in Deutschlands Südwesten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Hymnen treten nunmehr auch in den Dienst von Bestandssicherung und Integration der neu geschaffenen Staatsgebilde mit ihren gewaltigen Gewinnen an Land und neuen Einwohnern. Diese neuen Untertanen zu integrieren, stellte ein ziemliches Problem dar, denn Württemberg hatte sich nach Fläche wie nach Einwohnerschaft gut verdoppelt: von 9500 km2 auf 19 500 km2, von 660 000 Einwohnern auf 1,4 Millionen Einwohner. Baden hatte sich der Fläche nach vervierfacht: von 3500 km2 auf 14 000 km2, der Einwohnerzahl nach fast versechsfacht: von 170 000 auf rund eine Million.

Schon von diesen Wachstumsunterschieden her gesehen wies Baden das größere Integrationsproblem auf. Erschwerend hinzu kamen die konfessionellen Verhältnisse: Das bislang protestantisch-lutherische Herzogtum Württemberg war durch die vorwiegend katholischen Neuerwerbungen nunmehr ein Staat mit rund einem Drittel katholischer Bevölkerung. Baden jedoch wies fast eine Zweidrittelmehrheit von Katholiken auf, bei lutherischem Herrscherhaus und reformierten kurpfälzischen Gebieten. Württemberg hatte mit Stuttgart und dem Mittleren Neckarraum ein unumstrittenes Gravitationszentrum, in Baden hingegen konkurrierten Karlsruhe als badische Residenzstadt mit der ehemaligen kurpfälzischen Residenz Mannheim und dem vorderösterreichischen Freiburg – eine Konkurrenz, die bis heute besteht.

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Landeshymnen und Volkslieder

Landeshymnen gelten als Volkslieder. Das heißt nicht, dass sie aus dem Volk heraus geboren sind, einfach so, wie man lange glaubte. Sie haben Dichter und Komponisten, nur kennen wir sie vielfach nicht. Immerhin glaubte man, die Landeshymnen in Text und Musik verändern zu dürfen, ja Anleihen bei anderen Texten und Musikstücken machen zu können, sie sogar von anderswoher zu nehmen und die Melodie mit neuem Text zu unterlegen. Das gilt beispielsweise auch für das Badnerlied im Vergleich zum ähnlich gestrickten Sachsenlied, dessen Melodie einem Ernst Julius Otto zugeschrieben wird (veröffentlicht 1890). Welches der beiden Lieder eher da war, lässt sich nicht einfach bestimmen. Der erste gedruckte Nachweis sagt zumeist wenig aus, ist eher zufällig: Schon lange vorher war zumeist ein Lied im Schwang, auch von daher mag die Bezeichnung „Volkslied“ gerechtfertigt sein.

Beim Badnerlied gehen wir davon aus, dass es zwischen 1865 und 1890 entstanden sein muss. Vorher war Mannheim noch nicht „die Fabrik“ und die besungene Festung Rastatt wurde bereits 1890 geschleift. Die „Heidelberg- Strophe“ war aus dem Trompeter von Säckingen von Viktor von Scheffel „geklaut“ worden. Im Volksliedbereich galt das als eine erlaubte Unkorrektheit. Das Hohenzollernlied wird, nach langer Suche durch den Tübinger Gymnasialprofessor Eugen Nägele (Mitbegründer des Schwäbischen Albvereins und Schriftleiter von dessen Zeitschrift), nach Text und Melodie dem Oberpostpraktikanten Hermann Vitalowitz zugeschrieben. Er hatte sich selbst als Urheber bei Nägele gemeldet, wie überzeugend eine solche „Selbstanzeige“ auch immer sein mag. Das Lied ist seit etwa 1860 in Gebrauch. Die Melodie scheint der französischen Hymne Ma Normandie entlehnt zu sein.

Eindeutig sind die Gegebenheiten bei der Schwabenhymne "Preisend mit viel schönen Reden". Der Text stammt vom bekannten schwäbischen Dichter Justinus Kerner. Entstanden ist er 1818. Nicht zufällig also ist es die literarisch anspruchsvollste Hymne. Text und Melodie sind erstmalig 1823 erschienen. Der Komponist ist unbekannt; Anklänge an die Marseillaise sind unüberhörbar.

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Identitätsstiftung via Hymne

Landeshymnen stiften Identität, vermitteln Wir-Gefühl, sind Zeichen von Zugehörigkeit und Teil des Symbolhaushalts einer Gruppe. Ohne Symbole gibt es keine Identität. Symbole erlauben die Selbstdefinition einer Gruppe, auch die einer Großgruppe, zu der ein Land im deutschen Kontext gehört. Zu solcher Art Symbolen gehören unter anderem das Herrscherhaus oder heute der „Landesvater“ (weshalb Ministerpräsidenten gut beraten sind, von ihrer Rolle als Parteiführer abzurücken), die Verfassung mit guten Institutionen, Fahnen und Wappen, Feste und Feiern, und vor allem auch Bauwerke.

So hat der badische Staat im 19. Jahrhundert das ganze Land mit Gebäuden von hohem Wiedererkennungswert überzogen, die Identifikation erlaubten: Amtshäuser, Gerichte und Gefängnisse, evangelische und katholische Kirchen, ja sogar Synagogen. Stilistisch stark geprägt sind diese Bauten vom badischen Hofbaumeister Friedrich Weinbrenner (1766–1826) und seiner Schule, die Bahnhöfe vielfach vom Weinbrenner-Schüler Jakob Friedrich Eisenlohr (1805–1855).

Selbst das Bier aus der Badischen Staatsbrauerei Rothaus, das in den Wartesälen ausgeschenkt wurde, hatte Symbolcharakter, zeigte es doch an, wo man sich befand, ganz gleich, in welchem Landesteil: im heimischen Baden. Auch Kleidung, Ess- und Trinkgewohnheiten mögen identitätsstiftend wirken: das badische Schäufele wie der württembergische Trollinger – auch Heimatliebe geht durch den Magen. Hier jedoch sind am ehesten Veränderungen und Grenzüberschreitungen zu beobachten: Schwäbische Maultaschen gibt es inzwischen nicht nur auch im Badischen, sondern längst auch in Hannover. Und das „Tannenzäpfle“-Pils aus der badischen Rothaus-Brauerei wird inzwischen selbst in Köln gerne getrunken. Kleidungsstile sind dagegen kaum noch Identitätszeichen – von Bayern vielleicht abgesehen.

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Eigenschaften einer Hymne

Eine zentrale Rolle im Symbolhaushalt einer Großgruppe spielen neben greifbaren Dingen eben auch Hymnen, ganz gleich, ob offiziellen oder inoffiziellen Charakters. Text und Melodie wirken hier eng zusammen, wobei der Musik entscheidende Bedeutung zukommt, nämlich den zugrunde liegenden Text zu befördern. Um es deutlich zu sagen: Die Melodie könnte – beinahe – ohne den Text auskommen, aber nicht der Text ohne die Melodie. Sie wird in Beschlag genommen, um Inhalte zu vermitteln. Musik kann, was Worten kaum gelingt: den Singenden ganz erfassen, zutiefst erschüttern und damit alle Zweifel der Zugehörigkeit wegwischen. Hymnen stellen Ansprüche, an sich selbst und an das Ambiente, in dem sie gesungen werden. Es geht dabei nicht vorrangig um die musikalische Qualität, sondern um die Eingängigkeit, vor allem bei der Melodie, weniger beim Text.

Hymnen müssen sofort mitgesungen werden können, ja man muss geradezu den Drang dazu verspüren. Sie müssen geschmettert werden können, aus vollem Hals. Hymnen sind nicht für das stille Kämmerlein gedacht, für die Hausmusik. Sie gehören in die Öffentlichkeit. Erst durch das gemeinsame Singen werden Gemeinsamkeit und Gemeinschaft gestiftet und Zusammengehörigkeit empfunden. Hymnen verleihen ein erhebendes Gefühl, das über die Existenz als Individuum hinaus trägt, bis zur Schmerzgrenze, sogar zu Tränen erschüttern kann. Gesteigert wird das durch herausragende Anlässe: Feste und Feierlichkeiten, Geburtstagsfeiern des Herrscherpaares, prunkvolle Gottesdienste, aber eben auch gewonnene Fußballspiele. Festliche Kleidung und strahlender Sonnenschein können das Übrige dazu tun.

Hymnen können aber auch eine Trotzgeste sein, gesungen aus der Defensive heraus: Seht her, wir sind viele, und wir sind mächtig. Oder auch aus Heimweh. Seit eh und je haben Militärmärsche – durchaus mit Hymnencharakter – Gruppen kämpferisch zusammengeschmiedet. Auch das Badnerlied ist in diesem Kontext überliefert. Die erste gedruckte Fassung stammt aus dem Jahr 1906: Marschlieder des 5. badischen Infanterieregiments. Alle Hymnen zeichnet zudem in Text und Melodie die positive, Zuversicht verbreitende, wenn nicht gar siegesgewisse Stimmung aus, mit Superlativen und viel Selbstlob garniert: Das schönste Land bzw. Loblied der Badener oder Preisend mit viel schönen Reden bzw. Der reichste Fürst.

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Das Deutschlandlied

Der politische Umbruch, das Gegeneinander von monastischem Prinzip und modernem Nationalstaatsdenken macht sich also auch in der Hymnenlandschaft bemerkbar: Neben die Fürstenhymne tritt die Landeshymne, im Falle des Deutschlandliedes (Lied der Deutschen) von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) sogar mit Rückgriff auf dieselbe Melodie (Joseph Haydn, Kaiserquartett: Gott erhalte Franz den Kaiser). Denkbar ist, dass das Deutschlandlied, 1841 gedichtet und im selben Jahr zuerst in Hamburg gesungen, deutschlandweit beispielgebend war, mit der Umschreibung des Geltungsbereichs (in diesem Fall die Nation, die mit den Sprachgrenzen gleichgesetzt wird) in der ersten Strophe, mit dem Rückgriff auf Stereotypen (Wein, Weib, Gesang und Treue) in der zweiten.

Man schaue sich unter diesem Aspekt die später entstandenen Hymnen Badnerlied und Hohenzollernlied an. Neu ist im Deutschlandlied, neben dem nationalen Bezug, die Aufnahme liberaler Forderungen nach nationaler Einheit, Rechtsstaatlichkeit und freiheitlicher Verfassung in der dritten Strophe. So konnte nach dem Ende der Monarchie Das Lied der Deutschen 1922 die offizielle Nationalhymne werden – und blieb es in der Bundesrepublik mit der dritten Strophe, vor und auch nach der deutschen Einigung.

Umbruchzeiten

Besonders in gesellschaftlich-ideologischen Umbruchzeiten wird von Liedern und Hymnen Gebrauch gemacht. Martin Luther etwa hat sich sowohl als Liederdichter wie als Komponist hervorgetan. Auf der Gegenseite war die Gegenreformation produktiv, erst recht während der Neuorientierung des Katholizismus im 19. Jahrhunderts in Form des Ultramontanismus: Neben der wiederbelebten Volksfrömmigkeit sollte das Kirchenlied der äußeren Abgrenzung, der Demonstration (Fronleichnamsprozession) und – mehr noch – der Einigkeitsstiftung dienen. Es sollte den emotionalen Kitt liefern. Auf der einen Seite also Eine feste Burg ist unser Gott, auf der anderen Seite Ein Haus voll Glorie schauet oder Fest soll mein Taufbund ewig stehen, ich will die Kirche hören. Ein mitreißendes Lied wird zudem von Pfarrern immer auch dann eingesetzt, wenn die Gläubigen nicht (vorzeitig) die Kirche verlassen sollen. Großer Gott, wir loben dich ist so ein Lied, das mitzusingen man sich nicht entgehen lassen will.

Den entscheidenden Umbruch der letzten rund 200 Jahre europäischer Geschichte stellt die Französische Revolution und die damit verbundene Napoleonische Ära dar. Sie hat bis heute wirkmächtige Hymnen produziert. So hat die Marseillaise als „Transportband“ der Französischen Revolution eine zentrale Rolle gespielt, geschaffen von Claude Joseph Rouget de Lisle im Kontext des Ersten Koalitionskrieges mit der Kriegserklärung gegen Österreich im Jahr 1792. Die österreichische Antwort ist, im Zuge der Bedrohung durch das revolutionäre Frankreich, die Kaiserhymne Gott erhalte Franz, den Kaiser von 1797. Auf der einen Seite also das revolutionäre, auch blutrünstige Pathos, auf der anderen Seite die Verteidigung, der konservative Ton.

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