Migration und Integration in Baden-Württemberg

„Menschenreichtum ist nie eine Last.“  Dieses Zitat stammt von Reinhold Maier, dem ersten Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg. Ausgesprochen wurde es 1946, als Deutschland nach einem verheerenden Krieg in Trümmern lag und Millionen von deutschstämmigen Flüchtlingen und Vertriebenen aufnehmen musste. Schon wenige Jahre später kamen die sogenannten „Gastarbeiter“ in das inzwischen vom „Wirtschaftswunder“ geprägte Deutschland. Baden-Württemberg war dabei aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke ein besonders wichtiges Ziel der Arbeitsmigranten aus den vor allem südeuropäischen Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland oder Portugal, später auch aus der Türkei und dem früheren Jugoslawien.

Innerhalb weniger Jahre hat Baden-Württemberg Millionen von Menschen eine neue Heimat gegeben. Trotz der zunächst auf beiden Seiten vorherrschenden Rückkehrillusion sind viele der Arbeitsmigrantinnen und -migranten geblieben und haben sich still und leise integriert. Sie haben enorme Mühen auf sich genommen, oft in schwierigen Verhältnissen gelebt – und viele von ihnen haben diejenigen harten Jobs verrichtet, die deutsche Kolleginnen und Kollegen nicht mehr machen wollten. Die „Gastarbeiter“ haben Steuern und Sozialabgaben bezahlt, zum wachsenden Wohlstand der jungen Bundesrepublik beigetragen, Familien gegründet und ihre Kinder großgezogen – und sie haben in vielerlei Hinsicht zur kulturellen Vielfalt des Landes beigetragen und seine Gesellschaft verändert. In der Geschichtsschreibung und in der kollektiven Erinnerungskultur des Landes spielen sie oftmals keine Rolle. Ganz im Gegenteil.

Über viele Jahrzehnte hinweg hat Deutschland geleugnet, das zu sein, was es de facto schon längst war: ein Einwanderungs- und Integrationsland.

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Kurz & knapp: Migration und Integration in Baden-Württemberg

  • Baden-Württemberg ist ein vielfältiges und multikulturelles Land: 1,82 Millionen ausländische Einwohnerinnen und Einwohner lebten im Jahr 2021 im Land. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag bei 16,4 Prozent und damit über dem Bundesdurchschnitt von 13,1 Prozent.
  • Zu den häufigsten ausländischen Staatsangehörigkeiten gehören: Türkei, Italien, Rumänien, Kroatien, Polen, Syrien und Griechenland.
  • Die überwiegende Mehrheit der in Baden-Württemberg lebenden Zuwanderer und Zuwanderinnen kamen und kommen im Rahmen der Anwerbung von Arbeitskräften oder zur Absolvierung einer Ausbildung bzw. eines Studiums.
  • Am höchsten ist der Ausländeranteil in den Stadtkreisen Pforzheim, Heilbronn und Stuttgart, wo rund jeder vierte Einwohner keinen deutschen Pass hat.
  • Im Südweststaat besitzen rund 3,7 Millionen Einwohner einen Migrationshintergrund im engeren Sinne. Von diesen Menschen mit Migrationshintergrund besaß rund die Hälfte einen deutschen Pass. Insgesamt sind rund ein Drittel der Menschen in Baden-Württemberg Migrantinnen und Migranten. Fast drei Viertel von ihnen stammt aus Europa.

Einwanderungs- und Integrationsland Baden-Württemberg

Heute ist Baden-Württemberg ein vielfältiges und multikulturelles Land. Die Zahl der ausländischen Einwohnerinnen und Einwohner stieg nach Angaben des Statistischen Landesamts im Jahr 2021 weiter auf rund 1,82 Millionen. Das sind so viele wie noch nie seit Bestehen des Landes. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag bei 16,4 Prozent und damit über dem Bundesdurchschnitt von 13,1 Prozent.

Türkische Staatsangehörige stellen im Südwesten die größte Bevölkerungsgruppe (250.900). Mit einem deutlichen Abstand folgen die Staatsangehörigen aus Italien (181.900), Rumänien (171.700), Kroatien (126.100), Syrien (88.700), Polen (83.900) und Griechenland (80.400). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Bürgerinnen und Bürger mit ausländischem Pass beträgt 17,7 Jahre, wobei Personen aus der Türkei und Italien durchschnittlich über 30 Jahre in Baden-Württemberg leben, Menschen aus Bulgarien oder Rumänien dagegen nur etwas mehr als sechs Jahre (Quelle: Statistisches Landesamt).

Betrachtet man die ausländische Bevölkerung in Baden-Württemberg nach Geburtsland, so fällt auf, dass jeweils knapp Dreiviertel der aus Italien und der Türkei stammenden Ausländerinnen und Ausländer auch dort geboren wurden. Von den Rumäninnen und Rumänen wurden 86 Prozent in ihrem Heimatland geboren, von den Kroatinnen und Kroaten sowie den Polinnen und Polen sogar jeweils über 90 Prozent.

In den letzten Jahren hat sich die Diskussion bei den Themen Migration und Integration auf die Flüchtlinge vor allem aus Syrien konzentriert. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine Ende Februar 2022 kommt mit den Flüchtlingen aus der Ukraine eine neue Gruppe von Schutzsuchenden hinzu. Wenn man sich die Statistik anschaut, dann zeigt sich aber, dass die überwiegende Mehrheit der in Deutschland und auch in Baden-Württemberg lebenden Zuwanderer und Zuwanderinnen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Rahmen der Anwerbung von Arbeitskräften oder zur Absolvierung einer Ausbildung bzw. eines Studiums ins Land gekommen ist und nicht als Flüchtlinge.

Verteilung innerhalb des Landes

Innerhalb des Landes verteilt sich die ausländische Bevölkerung sehr unterschiedlich. Weiterhin ist vor allem ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle festzustellen, weil ausländische Staatsangehörige überdurchschnittlich oft in der Nähe der Arbeitsplatzzentren und damit in den größeren Städten leben. Am höchsten ist der Ausländeranteil in den Stadtkreisen Pforzheim, Heilbronn und Stuttgart, wo rund jeder vierte Einwohner keinen deutschen Pass hat. Dagegen liegt dieser Anteil im ländlich geprägten Main-Tauber-Kreis nur bei rund zehn Prozent (Quelle: Statistisches Landesamt).

In der Europäischen Union hat Luxemburg mit 47,1 Prozent mit Abstand den höchsten Anteil von Ausländerinnen und Ausländern, weil dort viele ausländische Arbeitnehmer in den zahlreichen EU-Behörden und im Finanzwesen tätig sind. Es folgen Malta (20,1), Zypern (18,5) und Österreich (16,9). Baden-Württemberg folgt mit 16,4 Prozent knapp dahinter, was die besondere Rolle Baden-Württembergs als Einwanderungsland auch im europäischen Kontext unterstreicht.

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Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund

Diskussion über Begriff „Migrationshintergrund“

Seit 2005 erhebt das Statistische Bundesamt den sogenannten „Migrationshintergrund“ im Mikrozensus, der größten jährlichen Haushaltsbefragung in Deutschland. Der Begriff wurde eingeführt, um Daten über die Nachkommen von Zugewanderten zu erfassen. Bis 2005 wurde nur zwischen „Ausländern“ und „Deutschen“ unterschieden.

Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn „sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“. Damit haben einerseits Ausländerinnen und Ausländer einen Migrationshintergrund, aber auch Deutsche, die beispielsweise einen ausländischen Elternteil haben oder sich einbürgern ließen. Eine Person muss also nicht selbst zugewandert sein, um einen Migrationshintergrund zu haben.

In Deutschland hat gut jede vierte Person im Jahr 2021 einen Migrationshintergrund. Von den insgesamt 83,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern in Deutschland sind das rund 22,3 Millionen. 53 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (knapp 11,8 Millionen Menschen) besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und gut 47 Prozent eine ausländische Staatsangehörigkeit (knapp 10,6 Millionen Menschen). Dabei ist die überwiegende Mehrheit der ausländischen Bevölkerung mit Migrationshintergrund selbst zugewandert (84 Prozent), bei den Deutschen mit Migrationshintergrund waren es nur 43 Prozent (Quelle: destatis).

Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist allerdings nicht unumstritten und steht zunehmend in der Kritik. Zahlreiche Experten und Expertinnen sind der Meinung, der Begriff sei nicht mehr zeitgemäß, sage nichts über Lebensrealitäten aus und werde als stigmatisierend empfunden. Als alternative Bezeichnungen zum Migrationshintergrund werden unter anderem „Einwanderer und ihre Nachkommen“ oder „Menschen aus Einwandererfamilien“ vorgeschlagen. Auch die von der Bundesregierung einberufene unabhängige Fachkomission „Integrationsfähigkeit“ kommt in ihrem 2021 veröffentlichten Bericht zu der Empfehlung, den Begriff „Migrationshintergrund“ nicht mehr zu verwenden. Sie schlägt stattdessen vor, von „Eingewanderten und ihren (direkten) Nachkommen" zu sprechen. Allerdings gab es innerhalb der Fachkommission auch abweichende Stellungnahmen.

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Die zugewanderte Bevölkerung in Baden-Württemberg

Wenn man nach dem Migrationshintergrund fragt, dann wird die Spitzenrolle Baden-Württembergs als Einwanderungsland noch deutlicher. Im Südweststaat besitzen rund 3,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner einen Migrationshintergrund. Davon haben etwas mehr als die Hälfte einen deutschen Pass. Insgesamt sind damit knapp 34 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg Migrantinnen und Migranten.

2,3 Millionen Menschen, die Mehrheit der Bevölkerung Baden-Württembergs mit Migrationshintergrund, ist selbst nach Deutschland eingewandert. Dies entspricht 21,3 Prozent der baden-württembergischen Bevölkerung. Damit belegt Baden-Württemberg Platz 5 hinter Bremen, Hamburg, Berlin und Hessen. In absoluten Zahlen leben im Bundesvergleich nur in Nordrhein-Westfalen (3,3 Mio.) mehr Personen mit eigener Migrationserfahrung als in Baden-Württemberg.

Fast drei Viertel der Menschen (72 Prozent) mit eigener Migrationserfahrung, rund 1,7 Millionen, stammen aus Europa. Die Herkunftsstruktur der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist bis heute geprägt von den „Gastarbeitern“, die in den 1950-er, 1960-er und 1970-er Jahren im Rahmen der Anwerbeabkommen nach Deutschland und Baden-Württemberg kamen, und ihren Nachkommen. So gehören Italien, Griechenland und die Türkei bis heute zu den elf Ländern, aus denen die meisten in Baden-Württemberg lebenden Menschen mit eigener Migrationserfahrung eingewandert sind. Weitere wichtige Herkunftsländer sind Bosnien-Herzegowina, Kasachstan, Kroatien, Kosovo, Polen, Rumänien, Russland und Syrien (Quelle: Statistisches Landesamt).

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Musliminnen und Muslime in Baden-Württemberg

Die Religionszugehörigkeit ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema, das in Debatten häufig viel Raum einnimmt. Gleichzeitig wird dabei oftmals mit spekulativen Zahlen gearbeitet, weil die meisten Religionsgemeinschaften die Zahl ihrer Gläubigen nicht statistisch erfassen. Das gilt auch für die Zahl der Musliminnen und Muslime im Land. In größerer Zahl sind sie erst seit den Anwerbeabkommen Deutschlands der 1960er-Jahre mit der Türkei, Tunesien und Marokko ins Land gekommen. Erstmals erfasst wurden sie bei der Volkszählung 1987. Demnach waren damals etwa 273.000 Menschen in Baden-Württemberg Mitglied der islamischen Religionsgemeinschaft. Im Jahr 2005 gingen die Statistiker davon aus, dass sich die Zahl auf rund 610.000 (und damit etwa 5,7 Prozent der Gesamtbevölkerung) mehr als verdoppelt hatte.

Schätzungen des Statistischen Landesamtes gehen inzwischen von 800.000 Musliminnen und Muslimen in Baden-Württemberg aus, wobei mehr als die Hälfte türkische Staatsangehörige bzw. Deutsche mit einem türkischen Migrationshintergrund sind (432.000). An zweiter Stelle folgen Personen aus dem übrigen Südosteuropa (148.000). Am dritthäufigsten stammen Musliminnen und Muslime aus Syrien (70.000).

Bereits im Jahr 2006 hat der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble formuliert, der Islam sei zweifelsohne ein Teil unseres Landes. Diese Zahlen bestätigen ihn. Auch wenn die Zahlen nur (begründete) Schätzungen sind, können sie einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Denn nach Umfragen überschätzen rund siebzig Prozent der Baden-Württemberger den Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung in Deutschland, der de facto bei rund fünf Prozent liegt. Laut dieser Umfragen schätzen rund siebzig Prozent der Menschen in Baden-Württemberg den Anteil der Muslime in Deutschland fälschlicherweise auf über zwanzig Prozent.

Das muslimische Leben in Baden-Württemberg ist in Bezug auf Religiosität und Glaubensrichtungen sehr vielfältig. Mehr als achtzig Prozent der Musliminnen und Muslime im Land dürften einen sunnitischen und knapp vier Prozent einen schiitischen Hintergrund haben. Geschätzte zehn bis 15 Prozent der Musliminnen und Muslime im Land haben einen alevitischen Hintergrund. Zwischen drei und fünf Prozent zählen zur Gemeinschaft der Ahmaddiya.

Für die Religiosität der Musliminnen und Muslime gibt es nur deutschlandweite Umfragen. Demnach bezeichnen sich 36 Prozent als stark gläubig und weitere fünfzig Prozent als eher gläubig. Ein Drittel der Muslime in Deutschland gibt an, täglich zu beten. Mehr als ein Drittel betet aber nach eigenen Angaben selten oder nie. Etwas mehr als die Hälfte der Musliminnen und Muslime in der Bundesrepublik gibt an, die Fastenregeln zu beachten.

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Quellen und weitere Infos

Historische Dossiers zum Nachlesen

Mehr Informationen zur Einwanderung und Integrationspolitik in Baden-Württemberg nach 1945 finden Sie auf den Seiten:

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Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration

Manne Lucha ist als Minister für Soziales, Gesundheit und Integration für eine breite Palette an sozial- und integrationspolitischen Themen verantwortlich.

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Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun | Aufbereitung für das Netz und Aktualisierung: Internetredaktion der LpB BW, Stand: Juli 2022

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