Die Grabkapelle auf dem Rotenberg – Vom Wirtenberg zu Württemberg

Ein Erinnerungsort des Königreichs – Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Im Herzen Württembergs, dort, wo bis 1819 die Stammburg der Wirtemberger stand, erinnert eine klassizistische Grabkapelle an Katharina von Württemberg (1788–1819). 

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Autor: Bernhard Mann

Der Text von Bernhard Mann erschien unter dem Titel „Die Grabkapelle auf dem Rotenberg. Vom Wirtenberg zu Württemberg – ein Erinnerungsort des Königreichs“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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Der Bau der Grabkapelle auf dem Rotenberg

Die Grabkapelle erinnert an Katharina von Württemberg (1788–1819). Sie hat das Land in ihren nur etwas mehr als zwei Jahren als Königin bis heute nachwirkend mitgeprägt. Ein großes Krankenhaus und ein Gymnasium der Hauptstadt sind nach ihr benannt. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), der Landeswohlfahrtsverband und die Universität Hohenheim gehen auf ihre Gründungen zurück.

Wollte König Wilhelm I. (1781–1864) mit dem Abbruch der Burg seiner Vorfahren und dem Bau dieser Kapelle nur die Liebe zu seiner jung verstorbenen Frau demonstrieren? Die Politik, die er als König zusammen mit ihr und nach ihrem Tod 45 Jahre lang allein verfolgte, legt die Vermutung nahe, dass die Grabkapelle auch zum Zusammenwachsen seines noch jungen Staates beitragen sollte. Im Ensemble mit weiteren Bauten in ihrer Umgebung konnte sie sichtbar machen, dass das Königreich Württemberg mehr und anderes war, als einst das Herzogtum Wirtemberg gewesen war.

Dank Wilhelms Vater zur doppelten Größe aufgewachsen, schien Württemberg groß genug, in Deutschland und selbst in Europa eine größere Rolle zu spielen. Doch dafür mussten aus Untertanen der größeren und kleineren Territorien, aus denen das Königreich zusammengefügt worden war, württembergische Staatsbürger werden, die sich mit diesem Staat identifizieren konnten.

„Bellevue“

Wer das Glück hat, an einem klaren Tag den Rotenberg – kaum jemand nennt ihn „Württemberg“, wie er heute wieder heißt – zu besuchen, dem bietet sich ein großartiger Rundblick ins Land. Im Süden die Berge der Alb mit der markanten Teck, im Westen jenseits der Sportstätten, Industrieanlagen und Verkehrswege des Neckartals dessen dunklere Seite, hinter der das eigentliche Stuttgart liegt, auch im Norden und Osten dichte Bebauung, wohin man blickt.

Der Berg selbst und die unmittelbar benachbarten Hänge sind mit Wein bepflanzt. Als Paradies erschien vor 200 Jahren den Malern die damals noch fast unberührte Landschaft. Auch Friedrich, Württembergs erster König, hatte von dort oben die Aussicht genossen. Wie heute die Grabkapelle, war vom Tal aus auch die Burg zu sehen gewesen, auch vom jenseitigen Ufer des Neckars, unterhalb des später „Rosenstein“ genannten „Kahlensteins“, vom Schlösschen „Bellevue“, das sich sein Sohn Wilhelm und dessen Gemahlin Katharina frisch vermählt zum Wohnsitz ihrer Kronprinzenzeit eingerichtet hatten. Katharina kann also sehr wohl einmal den Wunsch geäußert haben, dereinst dort oben begraben zu werden.

„Ein Tempel, wie man sie in Rom und Griechenland findet“

Jedenfalls hatte Wilhelm, schon bald nachdem Katharina am 9. Januar 1819 – erst 30 Jahre alt – überraschend gestorben war, beschlossen, die Stammburg seines Hauses abbrechen und an deren Statt auf der höchsten Stelle des Berges eine würdige Grablege für seine Frau und sich selbst errichten zu lassen. Diese Kapelle ist bis heute fast unverändert geblieben und wird jedes Jahr von rund 30 000 Menschen besucht; zehn Mal so viele, so wird geschätzt, genießen von dort oben den Blick ins Land. Kunstkenner erinnert der unverputzte klassizistische Zentralbau aus hellem Sandstein an das Pantheon in Rom, vielleicht auch an das Pariser Panthéon, mehr noch an Andrea Palladios Villa Rotonda in Vicenza.

Der Rundbau trägt eine Kuppel und ist von einem großen Kreuz bekrönt. Monumentale Freitreppen mit hohen Opferschalen führen zu drei übergiebelten ionischen Portiken, durch dessen vordersten man das Innere betritt. Eine Öffnung im Scheitel der Kuppel lässt in den fast leeren Raum Tageslicht herein. Vier überlebensgroße Statuen aus Carrara-Marmor stellen die Evangelisten dar, Werke von Johann Heinrich Dannecker und Berthel Thorvaldsen, ausgeführt von dessen schwäbischen Schülern. Eine Ikonostase, die Bilderwand einer russisch-orthodoxen Kirche, verbirgt den Chor. Eine Öffnung im Mosaikfußboden leitet Licht in die darunterliegende Gruft. Dort stehen zwei Sarkophage, für Katharina und Wilhelm der eine, für beider Tochter Marie der andere. Büsten der anderen württembergischen Könige – die anderswo begraben sind – deuten ein Memorial ihres Hauses an.

Ein Andenken an Königin Katharina

Aber der russisch-orthodoxe Gottesdienst, der hier noch immer an jedem Pfingstmontag zu Katharinas Gedenken stattfindet, lässt die Kapelle als Erinnerungsort nur für Katharina erscheinen. Die außen angebrachten Inschriften über den Portiken und die inneren an der Chorwand tun das ebenfalls.

Drei davon sind Bibelverse, über die bei ihrer Beerdigung gepredigt wurde, hervorgehoben aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther: „Die Liebe höret nimmer auf.“ Vollends die Widmung außen an der Chorwand scheint keine andere Deutung zuzulassen: „Seiner vollendeten, ewig geliebten Gattin, Königin Katharina Paulowna, Großfürstin von Rußland, hat diese Ruhestätte erbaut Wilhelm, König von Württemberg, im Jahr 1824.“ Aber auch Wilhelm hat sich 40 Jahre später hier begraben lassen, neben ihr, nicht neben Königin Pauline, die er dann geheiratet hat und die ihm zwischen 1821 und 1826 zu den beiden Töchtern von Katharina nochmals drei Kinder, unter ihnen 1823 den Thronerben Karl, geboren hat. Von Pauline ist hier niemals die Rede.

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Der Architekt der Königin

Wir wissen, dass Wilhelm zunächst an eine „Kapelle im teutsch-gotischen Geschmack“ gedacht hatte, entworfen von einem deutschen Architekten. Aber dann entschied er sich für den klassizistischen Entwurf eines Italieners, Giovanni Salucci, den er 1817 – auch auf Wunsch Katharinas – als premier architecte de roi berufen hatte. Den Anhänger der Französischen Revolution, der unter Napoleon eine militärische Karriere als Ingenieur gemacht hatte – während der „Hundert Tage“ nach Napoleons Rückkehr aus Elba hatte er sich nochmals dem Kaiser angeschlossen –, hatten die beiden bei Freunden Katharinas in Genf kennengelernt.

Er sollte ihnen in Weil bei Esslingen einen Landsitz bauen, im heiteren italienischen Landhausstil, wie sie ihn in Genf gesehen hatten. Er hat diese Aufgabe auch technisch mit Bravour gelöst. Erst 1811 war in Paris eine erste Eisenkonstruktion für ein Oberlicht entworfen worden, eine im Hochbau bis dahin unbekannte Verwendung dieses Materials. Für die Grabkapelle auf dem Rotenberg wird Salucci „sein System“ ein weiteres Mal anwenden.

Bald nach der Kapelle durfte „Katharinas Architekt“ im selben palladianischen Stil etwas oberhalb von „Bellevue“ mit Wilhelms eigenstem Schloss Rosenstein (heute Staatliches Museum für Naturkunde) ein weiteres großes Projekt verwirklichen. Wollte der König mit diesem Schloss an dieser Stelle, mit Blick hinüber zum Rotenberg, ein weiteres Mal an Katharina erinnern, mit der er hier hatte leben wollen? Wollte er gar in diesem noch fast unverbauten romantischen Tal des wichtigsten württembergischen Flusses mit Weil, Rotenberg und Rosenstein eine „Königslandschaft“ schaffen, mit Bauten einer an Katharina erinnernden einheitlichen Architektur?

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Die Ehe und die Familie der Königin

Ehrgeiz und Eros

Ihre Ehe hatte in echter Liebe und gemeinsamem Ehrgeiz eine feste Basis gehabt. Unerfahren waren beide nicht mehr, als sie sich 1814 „fanden“, auch politisch nicht. Die Tochter des Kaisers Paul von Russland und einer Schwester Friedrichs, also Wilhelms Cousine, war schon als junges Mädchen ihrem elf Jahre älteren Bruder Alexander, der seinem Vater als Kaiser nachgefolgt war, zur vertrauten Beraterin geworden. Schon ihre erste Heirat war politisch gewesen; Napoleon sollte keine russische Großfürstin zur Frau bekommen! Ihre glückliche und mit zwei Söhnen gesegnete Ehe mit einem nachgeborenen Prinzen des Hauses Oldenburg hatte nicht lange gedauert.

1812 war Georg von Oldenburg im Kampf gegen den französischen Aggressor, an dem auch sie sich energisch beteiligt hatte, an der Folge einer Infektion gestorben. Nach einem psychischen und physischen Zusammenbruch hatte sie auf einer großen Reise neue Erfahrungen und einen neuen Mann gesucht. Der Kronprinz des kleinen Königreichs Württemberg war nicht ihre erste Priorität gewesen. Aber ihr gefiel der Ehrgeiz des Vetters. Im neuen Deutschland konnte dem gut aussehenden Offizier das militärische Ansehen, das er sich im Krieg gegen Napoleon erworben hatte, zu einer führenden Stellung verhelfen. Vielleicht nicht zum Kaiser eines neben Österreich und Preußen „reinen Deutschland“, aber doch wenigstens zum Bundesfeldherrn schien er prädestiniert.

Die Familie der Königin

Eine vorbildliche Ehe zu führen, hatten die beiden mehr als nur einen Grund. Wie vielen aus dieser Generation war ihnen bewusst, dass nach 1789 der Glaube an ein Gottesgnadentum der Könige keine tragfähige Basis der Monarchie mehr war. Militärisch begründete politische Gewalt war es auch nicht mehr. Damit hatte Wilhelms Vater Friedrich Württemberg auf die doppelte Größe und sich selbst im Ansehen seiner Untertanen um so gut wie allen Kredit gebracht. Achtung und Liebe ihrer Untertanen waren es jetzt, was die Monarchen brauchten, und dafür war auch ihr Privat- und Familienleben wichtig.

Die 1798 begründeten Jahrbücher der preußischen Monarchie unter der Regierung Friedrich Wilhelms III. hatten über diesen König und seine Gemahlin Luise geschrieben, im Bild der „echten Häuslichkeit des königlichen Hauses“ erkenne sich „die große Familie des Volkes“ wieder und vereine sich „zu stärkerer Kraft, dasselbe zu schützen“. Novalis hatte dort in Luise das Vorbild aller Frauen und Familien beschworen. Doch zu diesem politischen kam bei Wilhelm und Katharina auch ein persönlicher Grund: Sie wollten schon deshalb eine gute Ehe führen, weil sie beide unter der schlechten ihrer Eltern sehr gelitten hatten.

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Verfassungskampf

Das politische Erbe, das König Friedrich bei seinem Tod am 30. Oktober 1816 dem seit einem Dreivierteljahr verheirateten jungen Paar hinterlassen hatte, war schwierig gewesen. Sie hatten keine Zeit zu verlieren gehabt, sich ihren Württembergern als König und Königin durch Taten zu empfehlen. Die Verhandlungen waren festgefahren, die Friedrich seit mehr als zwei Jahren mit den Vertretern seines so viel größer gewordenen Volkes über eine geschriebene Verfassung für ihr Württemberg geführt hatte. Zur Sicherung der wichtigsten Staatseinnahmen durch Steuern und Kredite war die Verfassung dringend nötig, auch für das Zusammenwachsen des fast im Wortsinn „zusammengewürfelten“ Königreichs.

Aber wer vorher das Sagen gehabt hatte und jetzt zustimmen musste, lehnte Friedrichs Vorschläge ab – die ehemals „reichsunmittelbaren“ und jetzt „mediatisierten“ Fürsten und Herren und die Sprecher der altwirtembergischen Familien, die den alten, 1806 von Friedrich beseitigten Stuttgarter Landtag beherrscht hatten. Populärster „Sänger“ der Opposition war mit seinen Vaterländischen Gedichten der junge Ludwig Uhland geworden. Doch dem, was an der Zeit war, entsprachen die Vorstellungen des Königs deutlich besser als das, wofür die Opposition eintrat. Zwar konnte Wilhelm auch ohne eine geschriebene Verfassung vieles bewirken und einrichten, was praktisch nie mehr rückgängig zu machen war. Katharina konnte ihm helfen, auch „die öffentliche Meinung“ zu gewinnen. Trotzdem war die Aufgabe der beiden nicht leicht zu lösen.

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Definitive Gründung des Königreichs

Wilhelm verfolgte die gleichen Ziele wie sein Vater, doch agierte er ungleich geschickter. Ein taktischer Rückzug öffnete ihm den Weg zu einer Verfassung, die ihm alle Rechte ließ, die er unbedingt zu brauchen glaubte. Dafür schlug er die Teilung des künftigen Landtags in zwei Kammern vor – und spaltete damit die heterogene Opposition. Die früher reichsunmittelbaren „Standesherren“ sollten ein Oberhaus bekommen, zusammen mit vom König berufenen weiteren Mitgliedern. Aber weil ein neues Gesetz nur bei Zustimmung beider Kammern zustande kam, konnten sie ihre feudalen Privilegien nochmals 30 Jahre lang bewahren; erst 1848 kam es zu deren Aufhebung. In der Abgeordnetenkammer sollten die 71 Vertreter des Volkes nicht unter sich sein. 17 Abgeordnete der Ritterschaft, sechs der beiden Kirchen und der Kanzler der Universität Tübingen, zusammen ein Viertel der Mitglieder, unterstützten wie erwartet den König und seine Regierung so gut wie immer.

Wahlrecht und Wahlverfahren für die anderen drei Viertel machten die Oberamtmänner – die weisungsgebundenen Beamten des Staats in der Fläche – und die Reicheren jeder Gemeinde zu Herren der Wahlen, schon deshalb, weil die Wähler offen abstimmen mussten. Auch konnte die Krone einen schwierigen Landtag drei Jahre lang anstehen lassen und überhaupt in jeder Hinsicht kurz halten. Denn Gesetze waren nur da notwendig, wo es um „Freiheit und Eigentum“ der Bürger ging, nicht zuletzt um den für drei Jahre gültigen Etat. Das blieb alles im Rahmen des damals Üblichen, war sogar vergleichsweise fortschrittlich. Das Königreich Württemberg sollte fortan ein moderner Rechts- und Verwaltungsstaat sein, in dem sich die Gemeinden – von der staatlichen Bürokratie streng beaufsichtigt – selbst verwalteten. Die Bürokratie ihrerseits kontrollierte sich selbst, schon allein deshalb, um dem Landtag nicht Gelegenheit zu parlamentarischer Kritik zu bieten.

Der Monarch als erster Staatsdiener

Auch konnte der König vieles, was heute gesetzlich zu regeln ist, durch Verordnung ins Werk setzen. So hat Wilhelm schon vor der Verfassung die lokale Verwaltung seines Königreichs von den Oberämtern (den Vorgängern der heutigen Landkreise) bis hinab auf die unterste Ebene der Gemeinden für lange Zeit organisiert. Gerade hier behielten praktisch fast überall die bisher Mächtigen die Macht. Detailliert schrieb die Verfassung auch die Rechte und Pflichten der Beamten fest. Sie garantierte ihnen ein rechtsstaatlich kontrolliertes bürokratisches Regieren. Die Bürokratie, an deren Spitze der König stand, war mit klarer Über- und Unterordnung hierarchisch organisiert. Sie wurde jetzt auch formell zur gemeinsamen Sache von König und Beamtentum; der Monarch war zum ersten „Staatsdiener“ geworden, und das nicht nur auf dem Papier.

So wurden überkommene Machtverhältnisse modernisiert und neu befestigt. Auch kam Wilhelm den „Altrechtlern“ dort entgegen, wo es ihnen wichtig war und ihm nicht schadete, gar nützte. Wenn sich die Verfassungsurkunde als „Vertrag“ gab, so stellte sie nur scheinbar die starke Stellung wieder her, die bis 1806 „die Stände“ gegenüber dem Landesherren gehabt hatten. Auch der „Ständische Ausschuss“ und die „Ständische Schuldenverwaltung“, die jetzt wieder eingerichtet wurden, bedeuteten im Rahmen der monarchisch-konstitutionellen Verfassung viel weniger als im „dualistischen Ständestaat“. Der neue „Geheime Rat“ war praktisch eher ein Verwaltungsgericht als das zentrale Regierungsorgan, was das gleichnamige Gremium gewesen war. Letztlich stärkten alle diese scheinbaren Kontinuitäten vor allem des Königs monarchischen Staat.

Die Krone erwies sich überall als der stärkere Partner. Hat die Opposition das nicht durchschaut? Sie dürfte dankbar die Goldene Brücke betreten haben, die ihr geboten wurde. König Friedrich und sie hatten sich ineinander verhakt; Wilhelm – ohne Zweifel ein besserer „Politiker“ als sein Vater (auch im unschmeichelhaften Sinn dieses Wortes) – hatte das Privileg, neu anfangen zu dürfen. Auch werden viele der „Altrechtler“ nicht vergessen haben, dass und wie sehr der Kronprinz sich früher von der Politik des Königs sogar öffentlich distanziert hatte. Ihm kam also ein gewisser Vertrauensvorschuss zugute.

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Katharina – die „Volksmutter“

Außerdem hatte Wilhelm I. Katharina. Sozusagen aus dem Wochenbett heraus wurde die junge Königin auch „Landesmutter“. Am 30. Oktober 1816, König Friedrichs Todestag, gebar sie als erstes Kind dieser ihrer zweiten Ehe eine Tochter. Zwei Monate später begann sie mit der Organisation ihres ersten großen und bis heute nachwirkenden Werkes, eines zentralen und bald bis in die letzte Gemeinde des Landes hinein wirksamen Wohltätigkeitsvereins. „Wohltätigkeit“ war immer eine Aufgabe fürstlicher Frauen; neu war, wie Katharina wichtige Männer dafür in die Pflicht nahm.

Zunächst ihren eigenen, wie denn überhaupt zu fragen wäre, wie sehr der junge König den Rat seiner ihm geistig ebenbürtigen Frau suchte. Dann aber führende Männer der Hauptstadt, den großen Verleger Cotta, den vielseitigen Geheimrat Hartmann und andere, dazu mehrere Stuttgarter Damen. Wohltätigkeit war gerade jetzt dringend vonnöten, weil Missernten zu einer sehr ernsten Hungersnot geführt hatten, die mit Maßnahmen der Regierung allein nicht bewältigt werden konnte. Strenges Prinzip Katharinas war, keine Almosen zu geben, sondern den Bedürftigen zu helfen, sich selbst zu helfen. Not könne nur durch Arbeit überwunden werden. Dem sollte auch die Erziehung der Kinder der Armen zur Arbeit dienen.

Fortschritt durch Erziehung und Bildung

In sogenannten „Industrieschulen“ sollten sie nicht – wie man heute missverstehen könnte – zu Arbeitskräften der ohnehin kaum vorhandenen Industrie abgerichtet werden, sondern durch Handarbeiten in Ordnung, Fleiß und Sauberkeit eingeübt werden. Auch die bald darauf im ebenfalls organisatorisch engen Zusammenhang mit dem Wohltätigkeitsverein gegründete Sparkasse sollte den kleinen Leuten, Dienstboten, Tage- und Wochenlöhnern, Staats- und Gemeindebeamten in unselbstständiger Stellung Gelegenheit bieten, auch kleinste Ersparnisse zinsbringend sicher anzulegen. Die höchstmögliche Einlage betrug zunächst nur 100 Gulden, um die Sparkasse für die „Kapitalisten“, die nicht von ihrer Hände Arbeit, sondern von den Erträgnissen ihres Geldvermögens lebten, uninteressant zu machen. Bis zur Landesbank Baden- Württemberg war es noch ein weiter Weg.

Erziehung zum Fortschritt war nicht nur eine Aufgabe der Anstalten für arme Waisen und andere arme Kinder. Auch die Töchter der „höheren Stände“ sollten besser gebildet werden. Nach dem Vorbild eines unter dem Patronat ihrer Mutter stehenden Sankt Petersburger Instituts gründete Katharina im Sommer 1818 eine höhere Mädchenschule mit Internat, die nach ihrem Tod ihren heutigen Namen erhielt, das Königin-Katharina-Stift in Stuttgart. Der höheren Bildung diente auch die im gleichen Jahr gegründete Landwirtschaftliche Schule (und heutige Universität) Hohenheim. Sie wurde durch die Berufung des bedeutenden Agrarwissenschaftlers Johann Nepomuk Schwerz zu einer führenden Hoch- schule des damaligen Deutschland.

Auch dafür war Katharina energisch tätig, unterstützt von Wilhelm, der ein „König der Landwirte“ sein wollte. Überall im Land wurden Vereine gegründet, deren Spitze eine mit der Staatsverwaltung engstens verbundene Zentralstelle für die Landwirtschaft bildete. Wie wichtig dem König der noch wichtigste Wirtschaftszweig seines Landes war, zeigte er an seinem Geburtstag 1818 mit der Stiftung des Landwirtschaftlichen Hauptfestes, das bis heute jeden Herbst als Cannstatter Volksfest in der Mitte zwischen Rosenstein und Rotenberg stattfindet. Ein weiteres ihrer Projekte, das Stuttgarter Katharinenhospital, wurde erst nach Katharinas Tod verwirklicht.

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Trauer um Katharina

Die Trauer des Landes um Katharina war allgemein. Nicht nur der König wusste, was er mit ihr verloren hatte. Zar Alexander würde für den Vetter und Schwager nicht die gleichen Gefühle hegen wie für die geliebte Schwester. Gerüchte, dass Untreue des Württembergers Katharinas Tod mit verschuldet hätte, wurden natürlich auch in Sankt Petersburg vernommen. War Saluccis der Grabkapelle nachgebildetes kleines Mausoleum für die Gemahlin des russischen Gesandten auf dem Friedhof des Stuttgarter Weilers Heslach ein Signal an Alexander? Jedenfalls hatte Wilhelms „deutscher“ Ehrgeiz keinen Rückhalt mehr. Seinen „württembergischen“ gab der König nicht auf. Seine Monarchie sollte in Zusammenarbeit mit der führenden Schicht des Landes durch Förderung von dessen Entwicklung gefestigt werden. Hätte er sie neben Katharina noch energischer verfolgt?

Ein Gedicht Uhlands, vier Wochen nach ihrem Tod in Cottas Morgenblatt veröffentlicht, zeigt, dass die so überraschend und jung verstorbene Königin auch die Opposition gewonnen hatte. Er preist Katharina – ihr Name allein genügte als Überschrift – darin geradezu als „Volksmutter“. Im September desselben Jahres 1819 schlossen der König und der Landtag ihren Verfassungsvertrag; die innere Gründung des Königreichs war vollendet. Die Monarchie wurde zur gemeinsamen Sache der Württemberger. Immer noch lebte die breite Masse im Horizont ihrer Kirchtürme und allenfalls ihrer Oberämter, in denen die Integration oft recht heterogener Gebiete nur nach und nach vorankam. Es brauchte Zeit, bis auch „unten“ aus „Wirtembergern“, Reichsstädtern, Untertanen geistlicher und weltlicher Fürsten und Herren „Württemberger“ wurden. Aber das sollten sie werden, dazu wollten auch die Gebildeten beitragen.

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„Das war der König“

1824, im Jahr der Einweihung der Grabkapelle auf dem „Württemberg“, erschien der wohl erste „Historische Roman“ der deutschen Literatur, Lichtenstein. Sein 22-jähriger Verfasser, Wilhelm Hauff, lebte als Hauslehrer in der Familie eines als Chef des Kriegsministeriums König Wilhelm nahestehenden Mannes. Eine der Episoden des Romans könnte deshalb sehr wohl eine Botschaft aus dem inneren Kreis der Monarchie transportiert haben.

Auf seine eben jetzt von seinen Feinden niedergebrannte Stammburg blickend, erzählt der landflüchtige Herzog Ulrich einen Traum. Er habe an ihrer Stelle einen Tempel gesehen, „mit Säulen und Kuppel, wie man sie in Rom und Griechenland findet“, auch Menschen in fremden Kleidern, einen Mann mit den Zügen seines Bruders Georg – eine Fußnote weist darauf hin, dies sei „der Stammvater des jetzigen Regentenhauses“ –, der einen schönen Knaben an der Hand führte. Auf seine Frage, wer dieser Mann sei, habe man ihm geantwortet, das sei der König. Soll damit gesagt werden, dass die Grabkapelle so für das große Königreich stehe, wie die verschwundene Stammburg für das so viel weniger bedeutende alte Herzogtum?

Wie auch immer: König Wilhelm wird fortsetzen, was er mit Katharina begonnen hat. Immer sah er über die engen Grenzen seines Landes hinaus. Mit als erster erstrebte er über einen Zollverein eine engere Einheit Deutschlands. Erst spät in Angriff genommen, verband die staatliche Eisenbahn das Land mit den Wasserwegen in die Ferne. Nach 1848/49 ließ sich Wilhelm überzeugen, dass sein Land nicht Agrarland bleiben könne.

Neben die Zentralstelle für die Landwirtschaft trat eine Zentralstelle für Gewerbe und Handel. Ihr Leiter Ferdinand Steinbeis erzog nach dem bewährten Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ die württembergischen Gewerbetreibenden für den Weltmarkt und trieb sie geradezu in ihn hinein. Was das Ausland zu bieten hatte, wurde studiert und nachgeahmt, junge Leute zu Studium und Praxis in die Ferne geschickt, ein gewerbliches Schul- und Fortbildungswesen organisiert. Als König Wilhelm 1864 starb und in der Gruft der Grabkapelle auf dem Rotenberg bestattet wurde, hatte er in der Welt der Großen eine größere Rolle nicht spielen können, wohl aber sein Königreich auf überkommenen Grundlagen zu einem modernen Staat gemacht.

Idylle und Metropolregion

Wer heute von dort oben ins Tal hinunterblickt, kann sich nur schwer vorstellen, wie schön diese Landschaft einst gewesen sein muss. Bauten der Industrie und des Verkehrs, wohin er schaut, das Stadion eines bekannten Fußballvereins, am Horizont der Fernsehturm lassen Wilhelms „Rosenstein“ fast unsichtbar werden. Nur die Weinberge des „Württembergs“ und die am Aufstieg liegende Kelter erinnern noch an Schillers Vierzeiler über den Namen „Wirtemberg“, der sich „von Wirt am Berg“ schreibe und den Dichter fragen lässt, ob „ein Wirtemberger ohne Wein“ ein Wirtemberger sein könne. Aber gerade hier verbindet direkter als gewöhnlich eine Linie Vergangenheit und Gegenwart. Was wir heute sehen, wurde von König Wilhelm I. von Württemberg – bei ihm, der selbst regieren wollte und konnte, darf man so sagen – begonnen: die erste Eisenbahn als Rückgrat der Industrialisierung, die staatliche Gewerbeförderung als ihr Impulsgeber, der Aufstieg armer und gedrückter Bewohner eines Agrarlandes zu selbstbewussten Gliedern einer Industriegesellschaft, die Verwandlung gerade auch dieser Gegend in eine reiche Metropolregion.

Der Büchsenmachergeselle Gottlieb Daimler aus Schorndorf, dessen Gründung heute diese Landschaft vor allem bestimmt, war einer der ersten, deren Ausbildung von Steinbeis’ „Zentralstelle“ gefördert wurden. Das Umfeld, das Daimler den Aufbau eines Weltunternehmens ermöglichte, wurde auch dadurch bestimmt, dass die von Wilhelm zu Bürgern gemachten Württemberger an der Politik des Königreichs maßgeblichen Anteil gewannen. Neben den sterblichen Überresten der Königin Katharina bewahrt der Sarkophag in der Gruft der Grabkapelle auf dem Württemberg auch die ihres Gemahls. Die Kapelle erinnert an sie beide und ihr Werk.

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Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

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