Geschichte Baden-Württembergs zur Zeit des Nationalsozialismus

Ludwig Marum: Das letzte Jahr in Briefen. Briefe aus dem Konzentrationslager Kislau, ergänzt um den Briefwechsel mit Johanna Marum. Für die Neuausgabe ausgewählt und bearbeitet von Andrée Fischer-Marum, hrsg. Von der Stadtarchiven Karlsruhe und Mannheim. Von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe 2016. 261 Seiten, ISBN 978-3-86059-374-5. EUR 19,90.

Am 10. März 1933 wurde Ludwig Marum, Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, von Hilfspolizisten der SA in seiner Wohnung in Karlsruhe verhaftet. Der Reichstagsabgeordnete und frühere badische Staatsrat gehörte zu den bedeutendsten SPD-Politikern der Weimarer Republik und war als erklärter Gegner der Nationalsozialisten schon frühzeitig in deren Visier geraten. Marum wurde mehrere Wochen im Karlsruher Gefängnis inhaftiert und am 16. Mai 1933 in einer demütigenden öffentlichen Schaufahrt zusammen mit anderen führenden Sozialdemokraten in das Konzentrationslager Kislau gebracht, wo er am 29. März 1934 ermordet wurde.

Ludwig Marum hat während seiner Gefangenschaft in der sogenannten „Schutzhaft“ zahlreiche Briefe an seine Frau Johanna geschrieben. Diese wurden unter dem Titel „Briefe aus dem Konzentrationslager Kislau“ 1984 erstmals publiziert und zeugten von der ungebrochenen Haltung des Anwalts und Politikers, aber auch von seiner zärtlichen Liebe zu seiner Frau und seinen drei Kindern Elisabeth, Hans und Brigitte. Nicht bekannt sind jedoch die Briefe, die Johanna Marum von März bis Mai 1933 an ihren Mann geschrieben hat. Die vorliegende erweiterte Neuausgabe will zum einen die Briefe Ludwig Marums wieder verfügbar machen (ergänzt um bisher unveröffentlichte Briefe und Briefpassagen), zum anderen den Fokus erweitern auf die Situation der Familie Marum, die nun auch aus der Perspektive von Johanna Marum sichtbar wird.

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Jürgen Finger: Eigensinn im Einheitsstaat. NS-Schulpolitik in Württemberg, Baden und im Elsass 1933–1945. Nomos Verlag, Baden-Baden 2016. 603 Seiten. ISBN: 978-3-8487-2174-0. EUR 119,00.

Obwohl das NS-Regime nach Zentralisierung und Vereinheitlichung strebte, waren die Resultate seiner Bildungspolitik von Land zu Land uneinheitlich. Die Schulsysteme in Württemberg, Baden und im 1940 annektierten Elsass wichen auffällig voneinander ab. Das war zunächst historisch bedingt. Doch die Unterschiede wurden bewahrt und verstärkt durch das verschiedenartige Profil der NS-Politik in den drei Regionen. Den Bildungsreformern in Berlin gelang es nicht, regionale Beharrungskräfte, strukturelle Pfadabhängigkeiten und Bildungstraditionen auszuhebeln. Denn die Länder passten die Bildungsreformen an die örtlichen Gegebenheiten an. Dadurch entstand ein begrenzter Gestaltungsspielraum, den einzelne NS-Landespolitiker zu nutzen wussten.

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Frank Janzowski: Die NS-Vergangenheit in der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch. „... so intensiv wenden wir unsere Arbeitskraft der Ausschaltung der Erbkranken zu.“ Hrsg. vom zfp Psychiatrisches Zentrum Nordbaden. verlag regionalkultur, Heidelberg u. a. 2015. 440 S., ISBN 978-3-89735-852-2. EUR 29,80

Mit Schwerpunkt auf die NS-Zeit werden die ersten 50 Jahre der 1905 gegründeten Einrichtung, des heutigen Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN), in Wiesloch dargestellt. Zwischen 1940 und 1944 sind von dort über 2000 Patienten systematisch in Einrichtungen verlegt worden, wo sie entweder sofort ermordet wurden oder nur sehr eingeschränkte Überlebensbedingungen vorfanden. Mehr als zwei Drittel von ihnen sind umgekommen. Abschließend geht es um die frühe Aufarbeitung nach Kriegsende und die Tendenzen zum Verschweigen, Verdrängen und Schönreden.

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Wolfgang Proske (Hrsg.): Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. Bd. 3: NS-Belastete aus dem östlichen Württemberg. Verlag Freiheitsbaum, 2. Aufl. Reutlingen 2014, 258 S., ISBN 978-3-922589-38-9. EUR 17,80

Wer über Nazis in der eigenen Region forscht, sieht sich rasch mit ungehaltenen Zeitgenossen konfrontiert, die empört ausrufen: „Wen interessiert denn so was!“ Oder gar: „Wie lange soll das denn noch so gehen?“ Dabei wird bewusst übersehen, dass nach über 70 Jahren konsequenten Totschweigens die meisten dieser lokalen Täter, Helfer und Trittbrettfahrer des NS-Staates zum allerersten Mal vor einem breiten Publikum dargestellt werden. Und dass sie viel zu oft mehr oder weniger straflos davongekommen sind und später so tun konnten, als wäre nichts gewesen.

Der Heidenheimer Historiker Wolfgang Proske legt mit diesem Buch bereits den dritten Band vor, in dem er NS-Belastete aus unterschiedlichen Regionen Württembergs untersucht. Nach der Ostalb und der Region Ulm/Neu-Ulm liegen hier die Untersuchungen zum östlichen Württemberg vor. Eine Pionierleistung und wahrlich eine Fundgrube nicht nur für Regional- und Ortshistoriker!

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Peter Poguntke: Stuttgart und Umgebung 1933–1945. Der historische Reiseführer. Ch. Links Verlag, Berlin 2013. 112 Seiten. ISBN 978-3-86153-740-3. EUR 14,90

Stuttgart, die Hauptstadt des damaligen Württemberg, galt lange Zeit nicht als Hochburg der Nationalsozialisten. Die wenigsten wissen deshalb, dass sich dort die zweite Ortsgruppe der NSDAP außerhalb Bayerns gründete. Als Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, bestand am Neckar also bereits eine „braune“ Tradition. Ihren Ausdruck fand sie beispielsweise in Oberbürgermeister Karl Strölin, der Stuttgart zu einer der wenigen „Führerstädte“ im Reich machen wollte. Im Zweiten Weltkrieg stand Stuttgart für ein bedeutendes Rüstungszentrum, in dem Tausende Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Wegen dieser Betriebe wurde Stuttgart häufig Ziel alliierter Bombenangriffe, wodurch die historische Altstadt erheblichen Schaden nahm. Peter Poguntke beschreibt geografisch geordnet die Orte der NS-Herrschaft in Stuttgart und Umgebung, des NS-Terrors, aber auch die Zentren und Personen des Widerstandes wie des Hitler-Attentäters Claus Graf Schenk zu Stauffenberg.

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Susanne Wein: Alles erforscht? Nationalsozialismus in Württemberg und Hohenzollern: Literaturbericht und Bibliografie. Hrsg. von der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V., Stuttgart 2013. 300 S., ISBN 978-3-7322-4106-4. EUR 15,90.


Der Literaturbericht nebst zugehöriger Bibliografie ist eine historisch-politische Grundlagenforschung. Die Berliner Historikerin Susanne Wein beschreibt zunächst die Entwicklungslinien und Zäsuren, wie und in welcher Form seit 1945 an den Nationalsozialismus in der Region erinnert wurde. Dabei stellt sie fest, dass sich systematische Aufarbeitung und deutlich gesteigertes, anhaltendes Interesse am Nationalsozialismus in Stuttgart und Württemberg erst seit den 1980er-Jahren beobachten lassen. Die Abschnitte im Literaturbericht haben ihre Entsprechung in den Kapiteln der weit umfangreicheren Bibliografie. Aufgrund der Komposition von einführendem Literaturbericht und Bibliografie ist eine gelungene Handreichung entstanden, die ehrenamtliche und akademische Forschung gleichermaßen befruchten wird.

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Christiane Fritsche: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt – Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim. Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2013. 960 S. mit 178 Abb. und einer farbigen Übersichtskarte. ISBN 978-3-89735-772-3. EUR 38,00.

„Arisierung“, so nannte man im Dritten Reich die systematische Ausplünderung der Juden und die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz. Ab 1933 wurden überall im Deutschen Reich jüdische Betriebe geschlossen oder an „Arier“ verkauft, flossen Bargeld, Sparbücher und Aktien in Form der sogenannten „Judenvermögensabgabe“ oder der „Reichsfluchtsteuer“ in die Kassen des NS-Staates. In einem letzten Akt der Ausplünderung wurde in den 1940er Jahren der Hausrat der deportierten Juden versteigert. Auch in Mannheim verloren die einst 6.400 hier lebenden Juden im Dritten Reich fast ihren gesamten Besitz; mehr als 1.600 Betriebe und 1.250 Grundstücke wurden arisiert. Hunderte Mannheimer waren an der Ausplünderung der Juden beteiligt und profitierten von ihr.

80 Jahre nach der Machtergreifung nennt die vorliegende Studie erstmals entscheidende Akteure beim Namen, Verfolgte ebenso wie Täter und Profiteure. Dabei wird deutlich: Arisierung war kein „von oben“, von der Reichsregierung, oktroyierter Prozess, sondern wurde vor Ort von Mannheimer Beamten und Kaufleuten, von normalen Bürgern also, getragen und vorangetrieben. Daneben nimmt die Autorin auch die Wiedergutmachung in der Nachkriegszeit in den Blick und beleuchtet sowohl die Rückerstattung von in Mannheim arisiertem Besitz als auch Entschädigungszahlungen durch die Bundesrepublik Deutschland.

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Ingrid Bauz/Sigrid Brüggemann/Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2012. 477 Seiten, ISBN 3-89657-138-9. EUR 29,80.

Diese umfassende Darstellung der Gestapo in Württemberg und Hohenzollern beleuchtet deren Geschichte und innere Struktur sowie den Funktionswandel der Politischen Landespolizei, die in die reichseinheitliche Gestapo überführt wurde. Anhand einer Reihe von exemplarischen Schlaglichtern wird der Behördenalltag der Württembergischen Politischen Polizei bzw. Gestapo ebenso erhellt wie die Verbrechen und der blutige Terror. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Stapo-Leitstelle Stuttgart. Von hier aus werden die Verbindungen in die Fläche zu den zahlreichen über Württemberg und Hohenzollern verteilten Außenstellen der Politischen Polizei sowie zu den Haftanstalten und Arbeitserziehungslagern beschrieben. Einbezogen wird die Zusammenarbeit mit den anderen Polizeisparten, den Bürgermeistern, Landräten und weiteren Behörden (Finanz- und Arbeitsämtern).

Die Arbeitsweise der Gestapo wird beispielhaft an der Verfolgung der politischen Gegner, von Geistlichen, Homosexuellen, sogenannten „Asozialen“ und jüdischen Menschen nachgezeichnet. Die Überwachung und Bespitzelung der Bevölkerung ist ebenso Thema wie die der ausländischen Zwangarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Krieges. Anhand exemplarischer Kurzbiografien wird die personelle Zusammensetzung der Gestapo dokumentiert. Ein weiterer Teil des Buches beschäftigt sich mit der Gestapo und ihren Mitarbeiterinnen und -arbeitern nach 1945, mit der Verfolgung und Entnazifizierung der Täter sowie mit den personellen Kontinuitäten und Nachkriegskarrieren.

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Dorf unterm Hakenkreuz. Diktatur auf dem Land im deutschen Südwesten 1933–1945, hrsg. v. der Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg und der Arbeitsgemeinschaft der sieben regionalen ländlichen Freilichtmuseen in Baden-Württemberg. Verlag Jan Thorbecke, Ostfildern 2009. 176 Seiten. ISBN 978-3-7995-8044-1.
EUR 16,90


Die einzelnen Themenbeiträge dieses Sammelbandes zum Nationalsozialismus auf dem Dorf ergänzen und bereichern sich gegenseitig. Sie werfen Schlaglichter auf die Vielschichtig- keit und nicht selten Widersprüchlichkeit der nationalsozialistischen Diktatur, die über sechzig Jahre nach ihrem Ende immer noch Kontroversen und Debatten hervorruft.   

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Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jungendschutzlager, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager, Verlag C.H. Beck, München 2009. 656 Seiten. ISBN 978-3-406-57238-8. 59,90 EUR

Der neunte und abschließende Band der Reihe „Der Ort des Terrors“ ist den zahlreichen Zwangslagern gewidmet, die im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich neben dem System der eigentlichen Konzentrationslager existierten. Die Zwangslager werden in der Erinnerung als Konzentrationslager wahrgenommen. Auch waren die Lebensbedingungen hier nicht oder nur graduell anders. Daher müssen sie in dieser Gesamtgeschichte enthalten sein. Neben dem „Altersghetto“ Theresienstadt, dem Vernichtungslager im weißrussischen Maly Trostinez und dem Lager Chaidari bei Athen gab es etwa Zwangsarbeitslager für Juden, Ghettos, Arbeitserziehungslager, Polizeihaftlager in den besetzten Gebieten, „Jugendschutzlager“, „Zigeuner-Lager“, Sonderlager für ungarische Juden, Lager der „Organisation Schmelt“ und Zwangsarbeiterlager. Von besonderer landesgeschichtlicher Bedeutung für Baden-Württemberg ist der Beitrag von Wolfgang Selig zum Konzentrationslager Welzheim. Auch der Beitrag von Andreas Pflock zum Sicherungslager Schirmeck-Vorbruck hat besondere Bedeutung für den deutschen Südwesten. 

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