Kulturkampf - Kulturkämpfe: Vom Epochenphänomen zum Symbolbegriff

Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Der badische „Kulturkampf“, der zwischen 1860 und 1876 unter Staatsminister Julius Jolly seinen Höhepunkt fand, hat sich als Prototyp der deutschen Kulturkämpfe in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingeschrieben. Seinen geistesgeschichtlichen Ort hat er in den lang andauernden Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche, zwischen Katholizismus und Protestantismus, dem monarchisch-bürgerlich-liberalen Staatssystem und einer demokratisch-republikanisch gesinnten Volksbewegung, deren Wurzeln man gemeinhin im Jahr 1848 und deren Ende man im Jahr 1918 zu erkennen meint. Indessen wurde der Kampf um die „libertas ecclesiae" und die kulturell-gesellschaftliche Integration des Katholizismus zur Signatur einer ganzen Epoche, die mit der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann und die als Folge sich steigernder Säkularisierungsschübe in der Gegenwart mit Resakralisierungstendenzen eine gewendete Rückkehr erlebt.

Als unter der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan 1998 der „Kopftuchstreit“ um eine muslimische Lehrerin entbrannte, ging bald die Rede von einem neuen Kulturkampf um. Gleichzeitig war damit die Frage nach der kulturellen Besonderheit eines Landes gestellt, letztlich die Frage nach seiner Identität. „Kultur“, das ist Sprache, Kunst, Kleidung, Lebensart, freilich, aber es ist auch Religion. Diese hat in den vergangenen Jahrhunderten Kulturräume und konfessionelle Landschaften ausgeprägt, stärker und nachhaltiger als politische Grenzen es je vermochten. Noch heute markieren etwa das fränkische „Madonnenländle“ oder die „Oberschwäbische Klosterlandschaft“ grenzüberschreitende Kulturräume, deren Identität sich seit Jahrhunderten anderswoher speist als aus der Loyalität politisch-administrativer Zugehörigkeit.

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Autor: Dominik Burkard

Der Text von Dominik Burkard erschien unter dem Titel „Kulturkampf - Kulturkämpfe“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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Religion und Identität

Religion manifestierte sich – bevor Radio, Fernsehen und Internet bis in den letzten Wohnzimmerwinkel drangen, also vor der unbeschränkten Mobilität und Globalisierung der Gegenwart – nicht nur in privater Frömmigkeit oder öffentlicher Religiosität, sondern auch in Architektur und Kunst, Kleidung und Tracht, Sprache und Schrifttum, in der Namengebung, der Brauchtumspflege, in einer in Jahrhunderten gewachsenen Fest- und Alltagskultur. Sie war es, die neben dem Kreislauf der Natur mit ihrem liturgischen Jahr, ihren religiösen Fest- und Gedenktagen, ihren Heiligen und Patrozinien dem Leben Orientierung gab, in Zeiten von Krisen Bewältigungspotenzial zur Verfügung stellte.

Auf die Heiligengedenktage und Kirchweihfeste (die „Messetage“) war selbst das wirtschaftliche Leben ausgerichtet, das Zinsgeben, der Warenaustausch. Österliche und weihnachtliche Fastenzeit bestimmten die fundamentalen Lebensgewohnheiten, griffen selbst tief ins Berufsleben ein (am stärksten wohl betroffen: die Metzger) und gestalteten nicht zuletzt „vorabendliche“ Fest- und Brauchtumskulturen (Fastnacht, St. Martin) aus, die ohne diesen religiösen Hintergrund nicht zu verstehen sind.

Die Religion, Ausgangs- und Bezugspunkt des kulturellen Lebens und ihrerseits wieder gebunden an (mündlich und schriftlich vermittelte) kulturelle Traditionen und Überlieferungen, war also – ob ausgesprochen oder unausgesprochen – seit jeher einer jener Urgründe, aus denen sich die Gemeinschaft ebenso definierte wie der Einzelne. Und weil der Mensch in seinem sozialen, gesellschaftlichen und politischen Handeln von dieser „Kultur“ und den durch sie vermittelten, vor allem religiös gewonnenen moralisch-sittlichen Überzeugungen geprägt ist, besaß Religion auch schon immer einen „politischen“ Charakter.

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Religion und Kultur

Die (immer nur relative) Geschlossenheit und Einheit der Kultur, aus der eine Region, eine Gesellschaft ihre Identität bezieht, will freilich erst geschaffen und erhalten sein: durch sozial kontrollierte Bräuche, durch rituellen Vollzug. Sie bleibt stets auch gefährdet, etwa durch Migration im Zuge von Einheirat oder aus wirtschaftlichen Gründen, auch infolge kriegerischer Auseinandersetzungen oder religiöskonfessioneller Vertreibung. Die dadurch erfolgten Verunsicherungen schaffen neuen Orientierungsbedarf, die Notwendigkeit von kulturellem Austausch und Anpassung, aber auch Modifikation. Spitzen solcher Migrationswellen dürften zunächst der Dreißigjährige Krieg und die politisch-territoriale Revolutionierung durch Säkularisation und Mediatisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewesen sein, später die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der „Gastarbeiter“ in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, schließlich auch die der „Deutschstämmigen“ Osteuropas und – nach der Wiedervereinigung – der „Ossis“.

Stets spielte dabei auch die Frage der religiösen Inkulturation eine Rolle. Zuletzt, im Zuge der Entwicklung Deutschlands zum Einwanderungsland, zeigte sich dies in aller Schärfe im Streit um Minarett, Moschee und Kopftuch. Mit einigem Recht sprach 2003 der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, von der äußerst komplizierten Grundsatzfrage, wie viel fremde Religiosität die Gesellschaft vertrage. Ist der Streit um Kultur immer auch ein Streit um die Religion? Und der Kampf um die Religion immer auch ein „Kulturkampf “?

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Baden - ein kulturkämpferisches Musterländle

„Der Kulturkampf “ war vor allem ein Stück preußischer Geschichte, nämlich die gegen den Katholizismus gerichtete Politik Otto von Bismarcks als des ersten Kanzlers des 1870/71 erstandenen neuen Deutschen Reiches preußischer Couleur. Dieser Kampf manifestierte sich unter anderem im „Kanzelparagrafen“, in den „Märzartikeln“, dem „Brotkorbgesetz“. Noch heute gilt der preußische Kulturkampf als der Kulturkampf schlechthin. Der Begriff selbst war zwar keine preußische Erfindung, wurde aber von dem aus Pommern stammenden Berliner Pathologen Rudolf Virchow popularisiert, der ihn 1873 erstmals als Losung für die Befreiung der Kultur vom Einfluss der (katholischen) Kirche gebrauchte.

Obwohl Virchow im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Deutschen Reichstag als Mitglied der „Deutschen Freisinnigen Partei“ ein Gegner Bismarcks war und sich für Minderheitenrechte (der Polen und Juden in Preußen) einsetzte, wollte er die Freiheit (und vor allem die politische Gestaltungskraft) der im neuen Reich unterrepräsentierten Katholiken beschränkt wissen. In der Folge kam es zu einer Amalgamisierung des Kulturkampfbegriffs mit Preußen und Bismarck. So wurden die vielerorts um die Jahrhundertwende gebauten „Bismarcktürme“ auch zu gemauerten Erinnerungszeichen für den Kulturkampf.

Einen Ausschließlichkeitsanspruch auf den Kulturkampf hat Preußen indes nicht, denn andere deutsche Länder hatten ebenso „ihre“ Kulturkämpfe. So auch Baden. Nun gelangte der Kulturkampf aber nicht – wie man vermuten könnte – über die Hohenzollernschen Fürstentümer, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts kirchlich zum Erzbistum Freiburg gehören, ins nahe gelegene Baden. Vielmehr war das, was in Preußen in den 1870er-Jahren perfektioniert wurde, bereits ein Jahrzehnt früher in Baden vorgedacht und ausprobiert worden. Baden hatte den Kulturkampf vor dem Kulturkampf.

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Zum Verlauf des badischen Kulturkampfes

Ob Auslöser oder Reflex – das Wiedererwachen des katholischen Selbstbewusstseins in den 1840er-Jahren hatte zu lang anhaltenden, heftigen Kontroversen über „die kirchlichen Zustände in Baden“ geführt. Weil auch nach der bürgerlichen Revolution von 1848 das zunehmend als einengend empfundene Staatskirchentum in vollem Umfang bestehen blieb, legten die oberrheinischen Bischöfe in den 1850er-Jahren mehrere Denkschriften vor, die weitreichende Forderungen enthielten. Diese Denkschriften wurden begleitet von Protestbewegungen in den Gemeinden.

Der nun vor allem in Baden entbrennende „Kirchenkampf “ nahm den späteren Kulturkampf voraus – wurde zeitweise sogar heftiger ausgetragen als in den 1870er-Jahren. Einen Höhepunkt erlebt er, als der greise Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari 1854 unter Hausarrest gestellt und Geistliche verhaftet wurden, und es infolgedessen zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Polizei und der Bevölkerung kam. Eigentlich ging es damals schon um all jene Punkte, die noch im 20. Jahrhundert eine Rolle spielen sollten.

Versuche einer einvernehmlichen Lösung via Konkordats- bzw. Konventionsverhandlungen scheiterten schließlich am „liberalen Mastbürgertum“ (Heinrich Hansjakob); die Kammern der Volksvertreter lehnten die zwischen dem Heiligen Stuhl und den Regierungen ausgehandelten Kompromisse ab. 1860 kam es zur landesherrlichen Proklamation eines Kirchengesetzes, das nicht half, die Konflikte zu lösen, sondern sie vielmehr erst recht verschärfte. Dazu kam, dass Großherzog Friedrich I. sich dem Liberalismus anschloss, der „österreichisch- ultramontanen Politik“ den Rücken kehrte und eine der wichtigen Stützen Preußens wurde.

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Kräftemessen und Konflikte

Als die liberale badische Regierung im Sommer 1864 ein neues Schulaufsichtsgesetz vorlegte, ging Erzbischof Vicari wieder auf Konfrontationskurs. Die Antwort des Staates war 1867, den angehenden Theologen ein besonderes Kulturexamen aufzuerlegen und sie so in einem nationalen, antirömischen Sinne zu prägen. Die Kirche leistete Widerstand. Noch einmal verschärft wurde der Konflikt, als ein neues Schulgesetz die fakultative Gemeinschaftsschule zuließ und damit die Konfessionsschule in Frage stellte.

Das Examens- oder Sperrgesetz hatte Gefängnisstrafen und Verbannung, Ausbleiben oder „Auswanderung“ des priesterlichen Nachwuchses und nicht zuletzt starke Einschränkungen der Seelsorge zur Folge. Schon kritische Äußerungen wurden drakonisch bestraft. So wurde Pfarrer Heinrich Hansjakob, der in einer Versammlung in Markdorf behauptet hatte, die „schwarzen“ Bauern würden gegenüber den „roten“ Bauern bei der Prämierung der Fohlen benachteiligt, für sechs Wochen ins Gefängnis gesteckt – der Staatsanwalt hatte sechs Monate verlangt. Nach dem Tod des Erzbischofs (1868) konnte 14 Jahre lang kein Nachfolger bestellt werden. Erst 1876 zeichnete sich eine gewisse Wende ab. Staatsminister Julius Jolly wurde – vor allem wegen seiner Schulpolitik (Entchristlichung der Volksschule) – entlassen. 1881 wurde mit Johann Baptist Orbin ein „Friedensbischof “ installiert. Der Abbau der Kulturkampfgesetzgebung sollte jedoch erst 1918 zum Abschluss kommen.

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Württemberg – eine „Oase des Friedens“

Wie in Baden, so war es auch in Württemberg seit den 1840er- Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche gekommen. Die Entwicklung verlief weitgehend parallel. Auch hier gab es einen Mischehenstreit, infolge der Denkschriften der oberrheinischen Bischöfe Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl über eine Konvention, deren Zurückweisung durch die Abgeordnetenkammer und daraufhin ein einseitiges, vom Staat erlassenes Kirchengesetz. Allerdings: Zu einem „Kulturkampf “ wie in Baden kam es nicht. Trotz einer auch hier bemerkbaren „Kulturkampfstimmung“, von der extrem „ultramontan-kämpferischen“ Partei im katholischen Lager ebenso wie von der „evangelisch-liberalen“ Richtung geschürt, blieben die großen Eskalationen aus.

Seinen Grund hatte das vor allem in der konzilianten Haltung und persönlichen Freundschaft zwischen dem antipreußisch gesinnten König Karl von Württemberg und Bischof Karl Joseph Hefele. Beiden gelang es, „Eiferer“ auf der jeweils eigenen Seite in Zaum zu halten. So blieb die Kirchenpolitik des Staates gemäßigt, während Hefele – überzeugt davon, dass die (katholische) Zentrumspartei eine Hauptmitschuld am Kulturkampf trage – verhinderte, dass zu seinen Lebzeiten in Württemberg eine Zentrumspartei entstehen konnte. Die Unterschiede zwischen Württemberg und Baden waren so groß, dass beispielsweise der badische Pfarrverweser einer hohenzollerischen Gemeinde, dem übel mitgespielt wurde, das Freiburger Ordinariat bat, seine Wohnung in einem benachbarten württembergischen Ort nehmen und von dort aus seinem Amt nachgehen zu dürfen.

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Kulturkampf als Signatur einer Epoche – Katholizismus im modernen Staat

Württemberg blieb – „cum grano salis" – eine „Oase des Friedens“. Dies hinderte die nachfolgende Generation allerdings nicht, in ihrem Bemühen um eine Gleichstellung der württembergischen Katholiken von einem neuen Kulturkampf zu reden. Offenbar haftete dem Begriff – als Kampfbegriff – nicht nur das Odium des Martyriums für eine gerechte Sache an. Das Erinnern an alte Kulturkampftage – auch wenn es diese so in Württemberg nie gegeben hatte – konnte für die Sammlung der Katholiken, für das Schließen der Reihen nicht zuletzt im Vorfeld anstehender Wahlen instrumentalisiert werden. So taucht der stets aktualisierte „Kulturkampf “ in der katholischen Presse seit Beginn des 20. Jahrhunderts als nahezu stereotyper, immer wiederkehrender Topos im Zusammenhang mit den Landtagsdebatten um kirchliche Themen auf.

Die Kulturkämpfe waren Ausdruck einer ganzen Epoche und schließlich auch ein „paneuropäisches Phänomen“. Es ging um die Klärung des Verhältnisses zwischen der sich selbst als societas perfecta begreifenden Kirche und eines sich zunehmend von der Kirche – aber auch vom Glauben – lösenden Staates. In Deutschland erlebten die Katholiken in der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Untergang der kirchlichen Territorialherrschaften, eine „Enteignung“ ihrer Kirche, ihre politische und gesellschaftliche Marginalisierung, aber auch den Verlust ihrer mentalen Heimat und ihrer identifikatorischen Bezugsgröße.

Geschlossene katholische Städte und Klosterlandschaften wurden damals den neu entstehenden deutschen Flächenstaaten eingegliedert, deren monarchische Häupter, aber auch deren Beamten- und Verwaltungsapparate fast vollständig protestantischen Bekenntnisses waren. Die von diesen ausgeübte Staatskirchenhoheit fand ihren Ausdruck im „Frankfurter Kirchensystem“ von 1818, das von Württemberg und Baden 1830 durch die „Landesherrliche Verordnung“ in geltendes Recht gegossen wurde. Oft genug polizeistaatlich durchgesetzt, vermittelte dieses „System“ weithin den Eindruck, die Freiheit der religiösen Betätigung trotz der Existenz von Religionsedikten zu be- schränken, die Katholiken ihrer eigenen Glaubenstraditionen und Frömmigkeitsformen zu entfremden, sie sozusagen zu „protestantisieren“. Dazu kam, dass die Integration der Katholiken auch gesellschaftlich nicht wirklich gelang. Das erweckte bei ihnen zunehmend das Gefühl, nur „Bürger zweiter Klasse“ zu sein.

Gegen Ende der 1830er-Jahre mehrten sich innerhalb des Katholizismus die Versuche, sich aus den Fesseln dieses engmaschigen Staatskirchentums zu lösen, sich religiös und gesellschaftlich zu emanzipieren. Libertas ecclesiae, Freiheit der Kirche, wurde zum Ruf der Zeit. Es ging vor allem um Selbstbestimmung und Selbstverwaltung in den Bereichen Ämterbesetzung und Finanzen, um die Freiheit der kirchlichen Presse und die Abschaffung der allgegenwärtigen Zensur, nicht zuletzt um die freiere Entfaltung des kirchlichen Lebens und die Chancengleichheit gegenüber der protestantischen Bevölkerung.

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Emanzipation der Katholiken

Die bürgerliche Revolution von 1848, in der sich ein Teil des (meist jüngeren, römisch gesinnten) Klerus engagierte, stärkte im Katholizismus das Bewusstsein, eine gesellschaftliche Größe zu sein, die nicht einfach ignoriert werden konnte. Der Katholizismus begann sich zu formieren, sich in einem eigenen Vereins- und Verbandswesen zu organisieren und über eine eigene Presse sowie in den Abgeordnetenkammern auch politisch Einfluss zu nehmen.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte diese Emanzipation der Katholiken jedoch herbe Rückschläge. Dafür waren nicht nur „äußere“ Faktoren verantwortlich: der deutsche „Bruderkrieg“ mit dem Ausscheiden Österreichs – der katholischen Vormacht – aus dem Deutschen Bund, die Reichsgründung von 1871, welche die auch mental inferiore Stellung der Katholiken zementierte, das materielle Zurückbleiben der Katholiken, die gesellschaftlichen Barrieren, welche die Katholiken vom Staatsdienst fernhielten, Bildungsdefizite, welche das Eindringen von Katholiken in die akademischen Berufe verhinderten.

Die Kultur und das öffentliche Leben des Kaiserreiches waren protestantisch geprägt: Protestantismus und deutsche Kultur wurden gleichgesetzt. Vor dem Hintergrund des Kulturprotestantismus und einer von Heinrich von Treitschke geprägten kleindeutschen Geschichtswissenschaft wurde immer wieder das Antinationale, angeblich Deutschfeindliche des Katholizismus hervorgekehrt. Dabei trafen sich protestantische Polemik und katholisches Selbstverständnis in eigenartiger Kongruenz. Die grundsätzliche und selbst in nationalen Vereinnahmungen stets vorhandene Inter- oder Transnationalität des Katholizismus, die im 19. und 20. Jahrhundert von der Römischen Kurie noch einmal bewusst verstärkt wurde, war ein bleibender Stachel im Fleische.

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Die Ausrichtung gegen die Moderne

Tatsächlich führten auch innerkirchliche Entwicklungen, vor allem die antimoderne Ausrichtung der Kirche während des langen Pontifikats Pius’ IX., den Katholizismus ins „Ghetto“: Bereits der Syllabus von 1864 wurde als „Fehdehandschuh an den modernen Staat und die moderne Gesellschaft“,
als „Fluch gegen alles, was Vernunft, Bildung, Freiheit heißt“, gedeutet. Das Erste Vatikanische Konzil mit der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit desavouierte die Katholiken schließlich vollends in den Augen protestantischer,
liberaler wie sozialistischer Kreise. Die Vorstellung, dass durch diese päpstlichen Verlautbarungen Katholizismus und Moderne, katholische Kirche und neuzeitliche Kultur ein für allemal als inkompatibel erklärt worden seien, fand weite Verbreitung.

In liberalen Kreisen sprach man von einer offenen Kriegserklärung des Papstes an den neuzeitlichen Staat, die es Katholiken schwer, wenn nicht sogar unmöglich mache, in einer Demokratie oder parlamentarischen Monarchie als loyale Staatsbürger zu gelten. Die Katholiken gehörten in den Augen der protestantischen Bevölkerungsmehrheit zur  katholischen „Internationalen“, erschienen „national“ nicht zuverlässig sowie kulturell und bildungsmäßig zurückgeblieben.

Die folgenden „Kulturkämpfe“ endeten freilich mit der Niederlagedes Staates. Nicht nur, weil sie sich gegen eine so große  Volksgruppe nicht durchhalten ließen, sondern auch weil der Katholizismus durch die erlittenen Verfolgungen gestärkt wurde: Die Gefahr von außen einte die Katholiken im Innern und führte zur Ausbildung eines „Milieus“, das seine innere Dynamik über Jahrzehnte hin bewahren sollte.

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Der Kulturkampf ist zu Ende – es lebe der Kulturkampf

Mit der Ausformung des katholischen Milieus wurde der Weg frei für das Heraustreten der Katholiken aus dem Ghetto, ihre Integration ins Kaiserreich und ihre Identifikation mit dem neuen Deutschland. Das neue Selbstbewusstsein der Katholiken erzeugte auf Seiten der Protestanten Ängste, während im intellektuellen Katholizismus sich die Stimmen mehrten, die einen stärkeren Anschluss an die Zeit, einen „zeitgemäßen“ Katholizismus forderten. Wie ein Fanal wirkten in dieser Hinsicht die Bücher „Der Katholicismus als Princip des Fortschritts" (1897) des Würzburger Theologen Herman Schell und „Katholisches Christentum und moderne Kultur" (1906) des Kirchenhistorikers Albert Ehrhard.

Doch stießen diese reformorientierten Regungen innerhalb der Kirche auf Ablehnung. Das intransigente Pontifikat Pius’ X. wurde zum Desaster, weil es die Kirche einmal mehr innerlich spaltete und nach außen hin schwächte. Wieder waren die Katholiken demonstrativ ans römische Gängelband genommen, in Deutschland aber als antimodern und gesellschaftsfeindlich wahrgenommen. Damit war das alte „Kulturkampftrauma“, das Gefühl der Minderwertigkeit – trotz zunehmend gelingender Integration ins kleindeutsche Reich – plötzlich wieder sehr präsent. Zur Neubelebung kulturkämpferischer Stimmungen trug auch der 1886 gegründete Evangelische Bund bei, der die konfessionellen Gegensätze wieder stärker betonte. So ging im Katholizismus in den folgenden Jahren die Rede von einem neuen Kulturkampf. Beides schuf eine anhaltende Bewusstseinslage, die bis hinein in die Weimarer Zeit wirkte.

Auch in Baden wirkte der Kulturkampf weit über die Aufhebung der Kulturkampfgesetzgebung hinaus. Anlässlich der Landtagswahl von 1905, die erstmals als Direktwahl durchgeführt wurde, polemisierte die liberale Öffentlichkeit heftig gegen den Katholizismus. Während jedoch die National- und Linksliberalen zusammen nur 35,8 Prozent und die Sozialdemokraten 17 Prozent der Stimmen erhielten, konnte die Zentrumspartei satte 44 Prozent erringen. Obwohl stärkste Partei, wurde das Zentrum aber nicht an der Regierungsbil- dung beteiligt, durfte sogar – allen Traditionen und Abmachungen zum Trotz – nicht einmal den Kammerpräsidenten stellen.

Infolge des Wahlsiegs des Zentrums inszenierte Innenminister Karl Schenkel eine förmliche Razzia gegen katholische Geistliche wegen des Verdachts auf „Mißbrauch des geistlichen Amtes“ und „politischer Beeinflussung der Wähler“. Der Klerus wurde bespitzelt, „gewisse Leute, die sonst nie in die Kirche gingen, kamen jetzt, um aufzupassen und anzuzeigen“, etwa den Pfarrer von Stetten (bei Engen), der seinen Gläubigen gesagt haben soll: „Wenn ihr liberal wählt, verrecken euch die Kälber.“ Wie sehr man sich damals in Kulturkampfzeiten zurückversetzt sah, zeigte sich in der Abgeordnetenkammer: „Im Zeichen des Kulturkampfes begannen die Debatten im Rondell; im Zeichen des Kulturkampfes geht der Landtag seinem Ende entgegen“ – schrieb damals der „Mannheimer Generalanzeiger".

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Die Schulpolitik als das Feld der „gewetzten Messer“

In den folgenden Jahren – bis zum Ende der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg – blieben die alten, nicht abgearbeiteten Themen präsent: Der Antrag auf Zulassung von Männerorden blieb zurückgewiesen, die Barmherzigen Schwestern wurden ablehnend behandelt, ehemalige Konviktoren im Staatsdienst wurden als kirchliche Spitzel betrachtet. 1908 und 1910 wurden Vorstöße unternommen, die konfessionellen Lehrerseminare in Simultaneen umzuwandeln.

Überhaupt blieb die Schulpolitik das bevorzugte Feld der „gewetzten Messer“. Erklärtes Ziel des Liberalismus und der Sozialdemokratie war die Entfernung der Kirche aus den Schulen und damit die Trennung von Kirche und Staat. Auf Seiten des Zentrums sah man im Gegenzug überall den „lebenszerrüttenden Kulturteufel“, die „Zigarettenschmaucher“, Kinobesucher und „Trottoirtrippler“ auf dem Vormarsch. Das Volk lehnte die Kulturkämpferei – wie ehedem – in seiner Mehrheit ab und quittierte sie mit einem deutlichen Stimmenzuwachs für die Katholiken.

Kein Wunder, dass man auf katholischer Seite auch fernerhin gerne die Rede vom neuen „Kulturkampf “ pflegte. In der 1912 aufkeimenden Diskussion über das alte, aus dem Kulturkampf noch verbliebene „Jesuitengesetz“ sah sich der Reichskanzler zu einer Entgegnung genötigt: Wenn man angesichts dieser Vorgänge von Wiedereröffnung des Kulturkampfes rede, so warnte er, lade man „eine schwere verhängnisvolle Verantwortung“ auf sich. Tatsächlich waren damals in Baden religiöse Vorträge von Jesuiten polizeilich untersagt. Der Kommentar des badischen Zentrumsführers Theodor Wacker dazu: „Als Rosa Luxemburg ihre Durlacher Blutrede gehalten hat, da hat bei der Polizeigewalt in Baden kein Hahn danach gekräht.“

Im Ringen um die neue Landesverfassung nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Ende der Monarchie blieb vor allem die Schule ein umkämpftes Thema. Es gelang den Katholiken nicht, das Elternrecht festzuschreiben. Immerhin fiel die alte Kulturkampfbestimmung, nach welcher Ordensfrauen für eine Tätigkeit selbst in einer Kleinkinderschule einen ministeriellen Dispens benötigten. Die „Kuttenangst“ blieb freilich noch lange bestehen, wie etwa die Debatten über das Lehrerbildungsgesetz 1926 zeigten.

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Auswirkungen auch in Württemberg

Selbst in Württemberg, wo es ja keinen Kulturkampf gegeben hatte, wurde nach 1900 von kirchlicher Seite ein solcher postuliert, ganz offenkundig aus Gründen der Stimmungsmache. So brachte das „Katholische Sonntagsblatt" 1901 die große Überschrift „Ein Stück Kulturkampf", konnte dort aber nur einen Vorfall aus Lüdinghausen in Westfalen schildern. Der Artikel endete mit dem Satz: „Das eine steht fest bei allen, die Augen- und Ohrenzeugen der Vorgänge waren: Das katholische Volk wird nicht ruhen und rasten, bis auch die Väter der Gesellschaft Jesu ihm zum freien Wirken zurückgegeben sind!“ 1903 folgte im selben Blatt „Eine Episode aus dem französischen Kulturkampf", 1905 endlich auch ein Artikel „Kulturkampf im württembergischen Landtag."

Häufiger wurde der Kulturkampf dann ab 1907 in katholischen Kreisen kolportiert. So erschien in diesem Jahr sogar eine dreizehnteilige Artikelserie Im Kulturkampf. Fürs „Katholische Sonntagsblatt“ geschrieben nach seinen Erinnerungen von Pfarrer P. Dass diese Beiträge – nota bene aus dem Badischen – über eine Zeit von fast vier Monaten den württembergischen Beziehern der Kirchenzeitung präsentiert wurden, sagt freilich mehr über die Intentionen des Blattes aus als über die tatsächlichen Begebenheiten des bereits 30 Jahre zurückliegenden Kulturkampfes. In einer Vorbemerkung erklärte der Herausgeber Konrad Kümmel jedenfalls rundweg, es sei „nur gut, wenn das katholische Volk nicht vergißt, was der furchtbare Kulturkampf der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts über die Katholiken des Reiches gebracht hat“, weil „gegenwärtig wieder eine ähnliche Luft weht, wie damals“.

Der Kulturkampfgeist wurde auch beschworen, als Ende 1908 im württembergischen Landtag über die obligatorische Einführung von Handarbeitsunterricht in den Schulen diskutiert wurde. Damals entstand „eine überaus heftige Kulturkampfdebatte, wie sie der Halbmondsaal noch selten gesehen hat“. Doch gab diese nur den Auftakt zu weiteren Auseinandersetzungen, über die im Katholischen Sonntagsblatt monatelang unter der Überschrift Eine Kulturkampfdebatte im württembergischen Landtag berichtet wurde.

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Der Nationalsozialismus – (nur) ein Kulturkampf?

Nach 1933 war der alte Kulturkampfgeist plötzlich wieder lebendig. Die Kirche lebte damals nicht nur im Trauma des alten Kulturkampfes, sondern auch – je länger desto mehr – angesichts der Entkonfessionalisierungsmaßnahmen und Repressalien des Regimes im Bewusstsein, tatsächlich einen neuen Kulturkampf bestehen zu müssen.

1937 rief der Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll anlässlich einer Männerwallfahrt in Weingarten seinen Zuhörern zu: „Schon einmal hat der Kulturkampf getobt in deutschen Landen, in den 70er-Jahren, als Bismarck glaubte, mit der katholischen Kirche fertig zu werden. Damals hat der katholische Führer Schorlemer in den Reichstag hineingerufen: ‚Ihr könnt uns vernichten, aber das sage ich, Ihr werdet diese katholischen Herzen nie losreißen vom Statthalter Christi!‘ Und das soll auch unser Grundsatz sein.“

Konkret prangerte Sproll den unter dem Deckmantel von „positivem Christentum“ und „Gottgläubigkeit“ „getarnten Kampf “ des Nationalsozialismus gegen Christentum und Kirche an, die Versuche einer kirchlichen Gleichschaltung, die öffentliche Propagierung eines Zerrbilds der Kirche (Sittenprozesse), die Verleumdung des Papsttums als Schuldigem am Weltkrieg, an Versailles, als Verbündetem Russlands und der Freimaurerei, die Verhinderung von Meinungs- und Pressefreiheit, die Rechtlosigkeit und die erpresserischen Zwangsmaßnahmen des Regimes sowie schließlich die Verpflichtung der Religionslehrer auf einen Unterricht im nationalsozialistischen Geist.

Auch der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber unterstrich die allgegenwärtige Existenz eines Kulturkampfes, indem er dem nationalsozialistischen Staat ein langes Sündenregister vorhielt, um schließlich zu enden: „Wir erblicken auch darin eine Bevorzugung der Gegner des Christentums und der Kirche und eine Zurücksetzung und Mundtoterklärung der Christen und Katholiken. […] Man wirft uns Katholiken vor, daß wir den Kulturkampf an die Wand malen und im Ausland verkünden, obgleich von einem Kulturkampf in Deutschland nicht die Rede sein könne […], leider sind wir nicht in der Lage, die Tatsachen zu übersehen, die ohne unser Zutun dem Ausland ein Bild von den kirchlichen Verhältnissen in Deutschland unterbreiten, das den Eindruck eines heftigen Kulturkampfes erweckt. Was wir wollen, ist nur der Friede und die Freiheit, wie sie das Konkordat uns verbürgt und das Volk so lebensnotwendig braucht.“

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Ein neuer Kulturkampf? – Das bundesrepublikanische Ringen um die Schule

Der „eigentliche“ badische Kulturkampf war im Wesentlichen ein Schulstreit gewesen. Was lag näher, als 100 Jahre später die wieder aufbrechenden Auseinandersetzungen um den Fortbestand der Konfessionsschule mit den alten Kulturkämpfen zu vergleichen und von einem neuen Kulturkampf zu sprechen? Wie in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Chiffre von beiden Seiten bedient. Da gab es ebenso „schwarze Kulturkämpfer“ wie „rote Kulturkämpfer“, die freilich allen Parteien angehören konnten.

Der „Spiegel" sprach von einem „beispiellosen Kulturkampf “, als 1965 „fast die gesamte Lehrerschaft Niedersachsens gegen Kirche und Konfessionsschule Front machte“, während ein katholischer Bischof, als die baden-württembergische CDU/SPD-Regierung unter Hans Filbinger ein neues Schulgesetz erließ, das den Konfessionsschulen ein Ende bereitete und die christliche Gemeinschaftsschule zur einzigen Form der öffentlichen Grund- und Hauptschulen bestimmte, im „Echo der Zeit" das Jahr 1967 mit dem Jahr 1933 verglich: Die katholische Kirche, die damals „den Kulturkampf nicht riskierte“, müsse heute „den aufgezwungenen Schulkampf als Teil des allgemeinen Kulturkampfes“ führen.

Doch der Kampf endete – anders als 100 Jahre zuvor – mit einer Niederlage der kirchlichen Position. War Deutschland – wie Karl Rahner SJ schrieb – ein „Heidenland mit christlicher Vergangenheit und christlichen Restbeständen“ geworden? Oder zeigten sich nicht lediglich die Auflösungserscheinungen eines katholischen Milieus, das durch die gesellschaftliche Ghettoisierung der Katholiken im Kulturkampf entstanden war, das längst nicht mehr existierte?

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Einwanderungsland – Kulturkampf im Kontext der „Wiederkehr der Religion“

Zuletzt tauchte der „Kulturkampf “ wieder im Zusammenhang mit den Diskussionen um den Islam auf. Stand hinter der Diskussion um Moscheen zunächst noch die Frage nach Gemeindebildung und Ermöglichung religiöser Vollzüge, so hatte der Streit um den Bau von Minaretten bereits eine andere Qualität: Jetzt ging es um den Öffentlichkeitscharakter einer Religion, die nicht mehr im „privaten“ Bereich einer Gemeinde gepflegt wurde, sondern für alle sicht- und hörbar (oder besser: nicht mehr überhörbar) war. Es ging nicht mehr um Ermöglichung, sondern um Etablierung, Demonstration einer anderen Religion – und Kultur. Hier hinein gehört auch der Kopftuchstreit. Der Islam hatte das Wechselverhältnis von aufgezwungenem Kampf von außen und Stärkung im Innern, den – historisch evidenten – Zusammenhang zwischen fruchtbarem „Märtyrertum“ (als Kehrseite des Bekenntnisses) und Kulturkampf erkannt. Wohl auch deshalb betonte er, mit dem „Kopftuchstreit“ sei in Deutschland eine Art „Kulturkampf “ entfacht worden.

Eine (vorerst) letzte Stufe des Ringens zwischen (noch) christlich geprägter Gesellschaft und Islam wurde im „Kruzifix- Streit“ erreicht. Was sich bereits im Kopftuchstreit angekündigt hatte, dass man (wieder) auch die Frage nach der Berechtigung von Ordensleuten bzw. Ordenstracht christlicher Gemeinschaften im öffentlichen Bereich stellte, wurde jetzt auf die Spitze getrieben: Die Defensive war endgültig verlassen, der Islam war in die Offensive übergegangen. Der Staat sollte zur Entscheidung gezwungen werden, entweder alle Religionen auf ein und dieselbe Stufe zu stellen, und zwar eben auch in ihren kulturellen Ausprägungen und ohne Rücksicht auf die geschichtliche Genese, oder zum säkularen Staat zu werden, der religiöse Symbole jeglicher Art verbietet.

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Erinnerungsort Kulturkampf?

Die Geschichte zeigt bis heute die Anfälligkeit des Kulturkampfbegriffs für immer neue inhaltliche Füllungen. Der „Kulturkampf “ ist zur schnellen, handelbaren Alltagschiffre, zur billigen Münze verkommen, womit der verantwortete Gebrauch des Begriffs nicht einfacher, eher schwieriger, da komplexer geworden ist. Ob und inwieweit sich mit dem ins kulturelle Gedächtnis eingegrabenen Begriff überhaupt noch die Erinnerung an die „Kulturkampfzeit“ des 19. Jahrhunderts, an den „badischen Kulturkampf “ der 1860er- und 1870er-Jahre verbindet, ist eine offene Frage. Er transportiert wohl eher mentale Befindlichkeiten jenseits einer konkreten inhaltlichen Erinnerung. Ob er also als „Erinnerungsort“ überhaupt taugt?


Es scheint, dass inzwischen überall dort von „Kulturkampf “ geredet wird, wo es in irgendeiner Weise um religiöse und politische Symbole, mithin um die Auseinandersetzungen zwischen religiösen „Fundamentalisten“ und „Liberalen“ geht. Längst wird auch von einem „Kulturkampf in der Türkei“ gesprochen. Damit hat der Begriff aber eine Wandlung durchgemacht: Er bezeichnet nicht mehr die Einschränkung historisch gewachsener, kulturell vermittelter kirchlicher Rechte und Interessen, sondern ist zum Begriff für die Auseinandersetzung um Symbole geworden. Freilich: Symbole stehen für Inhalte. Von daher beweist der Begriff – bei allen Diskontinuitäten – auch Kontinuität.

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Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

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